Nach 25 Jahren in seiner eigenen hausärztlichen Praxis hat der stellvertretende MEDI-Vorsitzende Dr. Michael Eckstein die ärztliche Leitung an Dr. Stefan Reschke übergeben. Seit April 2024 ist der 67-Jährige nun als angestellter Arzt in der gleichen Praxis tätig, die er 1999 als hausärztlicher Internist übernommen hatte. Der schrittweise Abschied fällt ihm nicht leicht – doch er ist zufrieden damit, dass sein Nachfolger auch berufspolitisch bei MEDI in seine Fußstapfen tritt.
Dass sich in einer ländlichen 7.000-Seelen-Gemeinde problemlos eine Nachfolge für eine Hausarztpraxis findet, ist heutzutage bekanntlich keine Selbstverständlichkeit. Doch gelegentlich gibt es eben auch Geschichten, in denen sich alles nahtlos und zum Vorteil aller Betroffenen fügt.
Der zwischen 1999 und 2024 in Reilingen niedergelassene Internist Dr. Michael Eckstein kann eine solche Geschichte erzählen. Denn er musste nicht einmal selbst auf die Suche gehen. „Das war schon ein recht seltsamer Weg“, schmunzelt er rückblickend. Ihm sei zwar klar gewesen, dass er mit 66 oder 67 Jahren kürzertreten oder aufhören möchte. „Meine Frau steuert als Lehrerin auf den Ruhestand zu. Und den wollen wir dafür nutzen, endlich mal ferienunabhängig auf Reisen zu gehen.“ Theoretisch habe er deshalb seit Längerem gewusst, dass er die Praxisabgabe anschieben und sich um eine Nachfolge bemühen muss. „Und trotzdem habe ich es erst einmal vor mir hergeschoben. Ich bin einfach davon ausgegangen, dass ich über mein Netzwerk relativ zügig jemanden finden kann, wenn ich erst einmal mit der Suche beginne.“
Sein Netzwerk verdankt Eckstein in erster Linie seinem jahrzehntelangen berufspolitischen Engagement. „Ich wollte schon immer politisch etwas bewegen, war bereits während meiner Zeit im Krankenhaus Assistentensprecher“, erinnert er sich. Den Wunsch, sich zu vernetzen und gemeinsam politisch aktiv zu werden, verspürte er auch in der Niederlassung rasch: „Zwei Jahre nach meiner Niederlassung habe ich begonnen, die Fühler auszustrecken und ein fachübergreifendes Ärztenetz zu gründen“, berichtet er. Seine berufspolitische Heimat fand Eckstein dann letztlich bei MEDI Baden-Württemberg, wo er seit Jahren im geschäftsführenden Vorstand und seit 2017 als stellvertretender Vorsitzender aktiv ist.
Nachfolger drückte aufs Tempo
Natürlich kann auch ein bestens vernetzter Arzt wohl kaum darauf vertrauen, dass sich seine Praxisnachfolge quasi von ganz allein regelt. „Doch dann kam Dr. Stefan Reschke ins Spiel – ein junger Kollege aus der Region, den ich während seiner Weiterbildungszeit in einer benachbarten Praxis bereits kennen gelernt hatte“, erzählt Eckstein. Reschke wollte weitere Einrichtungen in der Umgebung kennen lernen und bat Eckstein, ihm seine Praxis einmal unverbindlich zu zeigen. „Und kurz darauf sprach er mich geradeheraus an, dass ich doch bestimmt demnächst aufhören möchte“, erinnert sich Eckstein. „Da habe ich gemerkt, dass es nun konkret wird. Wir haben uns bei einem Bierchen zusammengesetzt und die wesentlichen Punkte besprochen, wobei die finanziellen Aspekte erst ganz zuletzt an der Reihe waren.“ Der junge Arzt drückte aufs Tempo, wollte Ecksteins Praxis so schnell wie möglich übernehmen. „Das löste bei mir zwiespältige Gefühle aus, weil ich zum einen sehr verwurzelt in meiner Arbeit bin – und mir andererseits natürlich klar war, was für ein großes Glück ich habe, dass ich meine Praxis nahtlos abgeben kann, wo doch so viele Praxen keine Nachfolger finden“, beschreibt Eckstein seine Gedanken zu der Zeit.
Einzig die mit der Praxisübergabe verbundene Bürokratie verzögerte den Prozess, der sich auf diese Weise über ein halbes Jahr hinzog. Seit dem 1. April 2024 betreibt Reschke, der selbst mit seiner Familie in Reilingen lebt, Ecksteins ehemalige Praxis als Zweigstelle zu seiner hausärztlichen Praxis in Walldorf. Eckstein wiederum arbeitet als Angestellter bei ihm weiter, „20 Stunden an drei Tagen pro Woche, immer mittwochs bis freitags“, berichtet der Internist. „Rein formal ist das noch ein voller Versorgungsauftrag. Ich schaue auch nicht so genau auf die Stunden, in diesem Punkt bin ich eher kein typischer Angestellter.“ In vielerlei Hinsicht läuft für ihn alles so weiter wie zuvor: „Die Patienten sind dieselben, und ich mache meine Medizin und Arbeit genau wie vorher.“
Mit dem Alter braucht man mehr Erholungszeit
Und doch hat sich vieles geändert: „Jetzt, wo ich nicht mehr die volle Verantwortung trage, fällt mir erst auf, dass diese in der Vergangenheit doch immer eine gewisse Grundlast bedeutet hat. Man hat immer ein Päckchen auf dem Rücken – und dass es nun weg ist, empfinde ich schon als große Erleichterung“, gibt Eckstein zu. „Ich spüre auch, dass ich mittlerweile mehr Erholungszeit brauche.“ Im Alter von 40 Jahren sei er nie vor ein Uhr nachts ins Bett gegangen, doch jetzt genieße er es, nach dem Freitag ein richtig langes Wochenende vor sich zu haben. „Schon nach einem halben Jahr in dieser neuen Konstellation kann ich mir gar nicht mehr vorstellen, von Montag bis Freitag durchzuarbeiten, die ganze Verantwortung zu tragen und am Wochenende über notwendige Veränderungen zu grübeln, wie ich es als Praxischef jahrzehntelang getan habe.“
Diese Veränderungen zu gestalten, ist nun Aufgabe seines Nachfolgers. Und tatsächlich hat sich bereits einiges getan in Ecksteins ehemaliger Praxis. „Es war seltsam, nach dem Urlaub in eine komplett von Windows auf Apple umgestellte IT-Landschaft zurückzukehren“, schmunzelt der Senior. Sein Nachfolger hat auch neue Geräte und Untersuchungsmethoden eingeführt, wie etwa Routine-Echokardiographien, die sonst nur in Facharztpraxen angeboten werden, bei die Patientinnen und Patienten aber monatelang auf Termine warten müssen. „Die Patienten nehmen diese Angebote gern an, auch wenn sie privat bezahlt werden müssen“, erklärt Eckstein. Er geht davon aus, dass es in Zukunft mehr und mehr derartige individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) geben wird – auch wenn das eine Entwicklung Richtung Staats- oder Zwei-Klassen-Medizin ist.
Nicht mit Ratschlägen in den Vordergrund drängen
„Das System wird sich ändern müssen, ob es mir oder meinen Patientinnen und Patienten nun gefällt oder nicht“, meint Eckstein, „darauf müssen die Jungen reagieren. Denn so wie wir es früher gemacht haben, könnten sie eine Praxis heute nicht mehr betriebswirtschaftlich führen. Wir haben viel zu geringe Honorarsteigerungen, und auch die Erhöhung in der neuen GOÄ fallen viel zu gering aus.“ Doch obwohl er dank seiner langjährigen berufspolitischen Erfahrung viele Ratschläge erteilen könnte, mag er sich damit nicht in den Vordergrund drängen: „Ich versuche zu helfen, wenn ich um Rat gefragt werde. Über so etwas war ich damals auch froh. Doch ich mag nicht als Besserwisser auftreten und mein Wissen unters Volk bringen. Das konnte ich als Jüngerer auch nicht leiden.“
Berufspolitisches Mentoring hat sein Nachfolger Reschke ohnehin nicht wirklich nötig: „Er hat sich bereits 2022 MEDI angeschlossen, ist bei Young MEDI als stellvertretender Sprecher aktiv und fungiert nun als Sprecher der MEDI-Region Rhein-Neckar-Kreis-Süd“, erzählt Eckstein. Er freut sich, dass sein Nachfolger auch in diesem Punkt in seine Fußstapfen tritt. Für ihn ist Reschke, der sich als Chef zweier Hausarztpraxen, Familienvater und MEDI-Aktivist auch noch im Gemeinderat engagiert, eine Ausnahmeerscheinung. „Er ist ein Macher, der auch bereit ist, Risiken einzugehen. Ein echter Glücksfall, die Praxis ist bei ihm in guten Händen.“
Erhalt von Praxen als wichtiges Standortargument
Das sieht man auch in der Gemeindeverwaltung von Reilingen so. „Als klar war, dass die Nachfolge geklärt ist, ist mir der Bürgermeister fast um den Hals gefallen“, erinnert sich Eckstein, „schließlich ist die Aufrechterhaltung der medizinischen Versorgung mittlerweile ein wichtiges Standortargument für Gemeinden.“ Für Reilingen wäre es ein Desaster gewesen, wenn Eckstein seine Praxis ohne Nachfolge geschlossen hätte, denn die umliegenden Praxen hätten seine Patientinnen und Patienten unmöglich aufnehmen können. „Gerade die Älteren, die nicht mobil sind und oft nur mich als Ansprechpartner bei allen Sorgen hatten, wären ohne Nachfolge schlecht versorgt gewesen.“ Doch bis ins Alter von Mitte 70 weiterzuarbeiten, wäre für Eckstein undenkbar gewesen. Er hätte dann die Praxis ohne Nachfolger schließen müssen „Ich hätte dann aber ein derart schlechtes Gewissen gehabt, dass ich mich in Reilingen nicht mehr hätte blicken lassen.“
Rückblickend meint er deshalb: „Ich bin froh, dass es so gelaufen ist. Dass ich den Spaß an der Arbeit nicht verloren habe, nicht ausgebrannt bin. So war mein Berufsleben eine Aneinanderreihung von Glücksmomenten. Insbesondere der Wechsel in die Niederlassung damals war das größte Glück in meinem Berufsleben.“
Antje Thiel