Teamkonflikte Teil 2: Wann kann ein Coaching helfen?

In Teil 1 unserer Interviewserie über Teamkonflikte mit Gesundheitsökonomin und Cognitive-Coach Katrin Holzinger vom Dr. Holzinger Institut ging es um den sogenannten Zickenkrieg. In diesem zweiten Interview erzählt Katrin Holzinger, wann und für wen Coaching sinnvoll sein kann.

MEDI: Haben Sie ein Geheimrezept für Konfliktsituationen?

Katrin Holzinger: Es gibt tatsächlich ein Rezept. Bei sämtlichen Konfliktsituationen, ob zwischen Frauen oder zwischen Männern und Frauen, geht es um Beziehungen, die an irgendeiner Stelle gebrochen sind. Da muss man schauen, wie man wieder zusammenfindet. Die wichtigste Maßnahme ist, am flexiblen Denken zu arbeiten – wegzukommen von der Sturheit. Wenn Konflikte lange bestehen, konditionieren sie sich auf eingefahrene Denkweisen und die Konflikte drehen sich im Kreis, anstatt gelöst zu werden. Sie nehmen einen immer größer werdenden Raum ein. Schafft man es, diese Spirale frühzeitig zu erkennen, lassen sich Konflikte viel schneller auflösen und es kommt gar nicht erst zu manifestierten Spannungen.

MEDI: Nehmen wir einmal an, eine MFA, die ja auch im Abhängigkeitsverhältnis arbeitet, leidet unter einem anhaltenden Konflikt in der Praxis und die Führungskraft interessiert es nicht. Was kann sie selbst an der Situation ändern?

Katrin Holzinger: Natürlich ist es als Einzelperson sinnvoll, auch an sich zu arbeiten. Jedes Team besteht aus ganz verschiedenen Persönlichkeiten und ihren Bedürfnissen und Befindlichkeiten. Wenn Konflikte bestehen, ist der erste Schritt den Mut zur Ehrlichkeit über sich selbst zu entwickeln. Habe ich vielleicht überreagiert? Oder liegt der andere tatsächlich falsch? Wie geht es mir mit dieser Situation? Leide ich darunter? Bekomme ich Kopfschmerzen? Magendruck? Wie äußert sich das Ganze? Bei Konflikten kann man sich machtlos fühlen, weil man nicht weiß, wie man sie lösen soll. Ist man an dem Punkt angekommen, dass man allein nicht weiterkommt, ist es gut, sich jemanden dazu zu holen, der das gemeinsam mit der betroffenen Person neutral durchdenkt. Wir sagen immer, man braucht ein zweites Gehirn, das einen neuen Denkanstoß geben kann. Wenn zwei sich streiten, ist es außerdem schlimm, wenn andere Kollegen parteiisch werden und daraus ein riesengroßer Konflikt entsteht. Das vergiftet das ganze Umfeld.

MEDI: Nun hören wir seit langer Zeit, dass ambulante Praxen und Teams am Limit sind. Ein Coaching bedeutet auch Arbeit an sich selbst. Können Sie verstehen, wenn eine MFA hofft, dass sich ihre Konflikte von allein regeln?

Katrin Holzinger: Im kognitiven Ansatz halten wir das für eine falsche Herangehensweise. Man kann tiefere Konflikte nicht einfach schönreden oder ignorieren. Im kognitiven Ansatz sind wir realitätsbezogen und vertreten ein aktives Leben. Dazu gehört es auch, Schwierigkeiten anzugehen. Nach Albert Ellis, einem New Yorker Psychologen und Wissenschaftler, ist es wichtig, zwischen praktischen und emotionalen Problemen zu unterscheiden. Wir betrachten die Situation und suchen den Auslöser. Dann fangen wir mit der Feinarbeit an: Was ist das praktische Problem? Dabei geht es um konkrete, lösbare Probleme wie unklare Aufgabenverteilungen oder fehlende Ressourcen. Sie lassen sich durch strukturelle Änderungen und klare Kommunikation angehen. Wo habe ich ein emotionales Problem? Das betrifft die Art und Weise, wie Menschen auf Situationen reagieren. Hierbei spielen irrationale Denkmuster eine Rolle, die zu übertriebenen emotionalen Reaktionen führen können. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn täglich viele Menschen in die Praxis kommen, viel Arbeit ist und ich anfange, mich darüber zu ärgern, nachts im Bett liege und mich dann auch noch aufrege, dass ich mich den ganzen Tag darüber geärgert habe. Dann geht auch noch die körperliche Kraft verloren und die emotionalen Probleme nehmen zu. So habe ich zusätzlich zu dem Ärger, dass so viele Patienten kommen auch noch den Ärger, dass ich nicht schlafen kann. Dann verliere ich meine Leistungsfähigkeit, werde krank. Womöglich baut sich noch Wut und Angst auf: „Ich will nicht zur Arbeit gehen, weil heute wieder so viele Patienten kommen und ich mich wahrscheinlich wieder ärgern muss.“ Diese emotionale Problemsuppe wird immer heißer. Man hat selbst immer die Möglichkeit, diese emotionale Suppe abzukühlen. Das ist immerhin besser als zu erwarten, dass man eine Maschine ist und Sorgen von allein verschwinden.

MEDI: Einzelcoachings wären also auch bei Teamkonflikten ein guter Beginn?

Katrin Holzinger: Ja. Wir beginnen im regulären Coaching immer einzeln, nicht zu zweit. Unsere wichtigste Aufgabe ist, die Angst und den Widerstand zu nehmen, damit sich die Menschen öffnen. Wir ergründen, wie emotional das Problem ist. Es kann hinter einem dicken Nebel liegen und das müssen wir erst einmal herausfinden. Wenn wir Klarheit haben, kann das Problem mit dem ganzen Team aufgearbeitet werden. So lernen alle eine bessere Denkweise. Flammt wieder eine Streitsituation auf, erinnern sich die Menschen daran, was funktioniert hat und können zumindest ruhiger damit umgehen. Unser Ziel ist immer, in die gesunde Emotionalität zu kommen. Das ist das Effiziente an dem kognitiven Ansatz, weil er sich mit dem Denken, mit dem Fühlen und dem Handeln beschäftigt – also mit dem Menschen als Ganzes und dann mit der Sache. Die Menschen lernen dabei, wie Probleme hochkochen und was wie wirklich gelöst werden kann.

MEDI: Menschen sind darauf konditioniert, glücklich zu sein. Jede Arztserie funktioniert nach diesem Prinzip. Und die MFA darf nur unglücklich sein, wenn sie Liebeskummer hat?

Katrin Holzinger: Das ist sehr überspitzt (lacht), aber ja, das sind alles Prägungen und die finden alle in unserem Kopf statt. Man kann dieses Denken also – einfach gesagt – umwandeln.

MEDI: Wie viel Zeit müsste man für ein Coaching einplanen?

Katrin Holzinger: Das hängt von den Personen ab. Wie reflektiert ist man? Welches Wissen ist vorhanden? Hat man sich schon mit bestimmten Dingen beschäftigt? Es ist unterschiedlich. Bei manchen ist ein Konflikt in zwei Stunden aufgearbeitet, weil das Problemverständnis sofort da ist oder nur der Auffrischung bedarf. Bei anderen brauchen wir zehn Stunden. Durch den konkreten wissenschaftlichen Prozess, der sehr empathisch und direkt ist, lösen wir Probleme zügig. Jedes Problem ist auch Lebenszeit. Diesen Ansatz finde ich auch in den Arztpraxen so wichtig. Das wichtige und schöne Ziel von MFA ist es, Menschen bei der Genesung zu begleiten. Ihre Arbeit ist so wertvoll. Dabei sollten weder der Arbeitsprozess noch zwischenmenschliche Konflikte zum persönlichen Problem werden.

MEDI: Wie hilfreich kann eine Person aus der gleichen Branche sein, mit der man sich austauscht?

Katrin Holzinger: Im Dschungel der Coaches ist es nicht immer leicht, sich zurechtzufinden. Die gleiche Branche spielt eigentlich keine Rolle. Denn es geht um Menschlichkeit in der Zusammenarbeit. Die benötige ich in der Bank genauso wie in der Arztpraxis. Im Krankenhaus, beim Bäcker oder auch beim CEO vom Daimler. Der kleinste gemeinsame Nenner im Menschsein ist die Triade aus Denken, Fühlen und Handeln. Sie ist grundsätzlich bei allen gleich. Dafür benötigt es die entsprechende Kompetenz und ein qualifiziertes Coaching, damit es unterstützend ist. Es geht häufig eher um mentale und emotionale Probleme. Damit arbeiten wir vor allem bei zwischenmenschlichen Themen. Man sollte eine Beziehung zum Coach aufbauen können und sich verstanden fühlen. Die gleiche Branchenkenntnis kann dafür eine nützliche Ergänzung sein, vor allem wenn es eine ganzheitliche und langfristige Unterstützung auch zur praktischen Problemlösung und der eigenen Entwicklung ist.

MEDI: Sie haben viel Coaching-Erfahrung mit Teams aus Gesundheitseinrichtungen. Gibt es ein Problem, mit dem sie immer wieder konfrontiert werden?

Katrin Holzinger: Ein großes Thema ist häufig die fehlende Anerkennung und Wertschätzung. Aber ich erkenne schon seit einiger Zeit einen Wandel. Der menschliche Veränderungsprozess ist im Vergleich zur Technik viel langsamer. Wir wissen, dass wir zehntausend Stunden brauchen, um eine neue Fähigkeit aufzubauen, egal in welche Richtung – schlechte Gewohnheiten genauso wie Stärken. Auch im Gesundheitswesen laufen verschiedene Veränderungsprozesse parallel: gesellschaftlicher Wandel, Organisationsentwicklung, Digitalisierung, KI und viele andere. Es ist unmöglich, in der heutigen Zeit alles zu können und alles zu überblicken. Es ist deshalb im menschlichen Prozess noch wichtiger zu klären, wie man miteinander umgehen möchte, wer welche Verantwortlichkeiten übernimmt und wer welche Fähigkeiten für ein erfolgreiches Team mitbringt. Damit kann jeder sofort beginnen und wird sehen, dass bereits in 200 Stunden oder in nur einem Monat Praxisarbeit Veränderungen spürbar geworden sind. Man braucht die anderen und man braucht den Computer beziehungsweise  die Technik. Mit „Zickerei“ macht man sich das Leben schwer. Das ist unnötiger Ballast, der auf das ganze Weltgeschehen noch obendrauf kommt. Bei großen Dramen geht immer Energie verloren. Das führt zu nichts außer zu Krankheit. Oder zur Flucht.

MEDI: Kann Flucht aus ganz verfahrenen Situationen auch ein akzeptabler Ausweg sein?

Katrin Holzinger: Ja. Die erste wichtige Einsicht ist zu akzeptieren, dass es ist, wie es ist. Danach wird geschaut, was ich verändern kann und was nicht. Wir unterscheiden Akzeptanz und Toleranz. Das wird oft vermischt. Wenn ich mich entscheide, diesen schweren Rucksack zu tragen und freiwillig zu bleiben, habe ich mich dazu bewusst entschieden. Dann lebe ich ganz anders damit, weil ich nicht gezwungen werde. Ich kann aber auch gehen, wenn ich die Situation nicht tolerieren kann und meine Gesundheit gefährdet ist.

Dagmar Möbius

 

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