Nach 24 Jahren an der MEDI-Spitze zieht sich Dr. Werner Baumgärtner aus der ärztlichen Standespolitik zurück und tritt bei der Wahl von MEDI Baden-Württemberg am 19. Juli nicht mehr an. Als Nachfolger wirft Dr. Norbert Smetak, Kardiologe aus Kirchheim an der Teck und langjähriger MEDI-Vize im Südwesten, seinen Hut in den Ring. Im Interview erläutern beide, wie es weitergeht.
MEDITIMES: Herr Dr. Baumgärtner, warum hören Sie im Juli auf?
Baumgärtner: Ich bin noch fit und kann die Dinge selbst regeln und entscheiden. Deswegen wollte ich auch diese Entscheidung, wann ich aufhöre, selbst treffen. Wenn ich an die KVen oder andere Verbände denke, halten sich Menschen in meiner Position nur sehr selten so lange an der Spitze. Ich hatte das Glück, dass unsere Mitglieder mit mir und meinen Entscheidungen so lange zufrieden waren.
MEDITIMES: Herr Dr. Smetak, wie groß sind die Fußstapfen, in die Sie treten? Und was für ein MEDI-Vorsitzender möchten Sie sein, falls Sie an die Spitze gewählt werden würden?
Smetak: In jedem Fall ein guter! Einer, der Evolutionen und Innovationen vorantreiben wird. Eine Revolution wird es nicht geben, Werner Baumgärtner hinterlässt ja ein bestelltes Feld. Die Fußstapfen sind groß, aber nicht zu groß und ich habe ja auch schon viel Erfahrung in der ärztlichen Berufspolitik. Seit 2007 bin ich der Bundesvorsitzende der niedergelassenen deutschen Kardiologen und damit bisher am längsten an der Spitze des BNK. Darüber hinaus bin ich schon seit Jahren im BDI aktiv und 1. Vizepräsident sowie Vorstandsmitglied des SpiFa und im Fachgruppenbeirat bei der KBV. Außerdem habe ich den Pulmologievertrag mit der AOK Baden-Württemberg mitverhandelt und habe diesbezüglich also auch schon Erfahrung in diffizilen Verhandlungen zu Selektivverträgen. Und last, but not least bleibt uns Werner Baumgärtner weiterhin als Berater erhalten.
Baumgärtner: Der Übergang fand ja fließend und über mehrere Jahre hinweg statt. Norbert Smetak hat sukzessive immer mehr Aufgaben übernommen und hat sich in letzter Zeit auch oft öffentlich positioniert.
MEDITIMES: Herr Dr. Baumgärtner, warum wäre Dr. Smetak der geeignete Nachfolger?
Baumgärtner: Wir haben uns vor Jahren in der Berufspolitik kennengelernt. Seit Kollege Smetak in unseren geschäftsführenden Vorstand gewählt wurde, haben wir immer besser zusammengearbeitet. Schließlich wurde mir klar, dass er aus meiner Sicht zum Nachfolger taugt. Er hätte noch andere Möglichkeiten in der Berufspolitik gehabt, aber er hat sich für MEDI entschieden und wir haben den Übergang bestens zusammen gestaltet.
MEDITIMES: Der MEDI Verbund ging aus der „Ärzteinitiative Stuttgart“ beziehungsweise der „Vertragsärztlichen Vereinigung“ hervor, die Sie damals mitbegründet haben. Wie viel davon ist noch in der MEDI-DNA enthalten?
Baumgärtner: Natürlich verändert man im Laufe der Zeit die ein oder andere Position. Aber unsere Grundausrichtung, dass wir uns fachübergreifend aufstellen, uns für die wirtschaftlichen Belange der Praxen einsetzen oder dass wir wehrhaft bleiben und für das ärztliche Streikrecht kämpfen, war immer unsere Philosophie. Die MEDI-DNA können Sie an drei Themen gut erkennen: Unseren Hausarzt- und Facharztverträgen, unserem MVZ-Konzept und unserem Einsatz für das ärztliche Streikrecht. Diese Themen überzeugen auch die junge Arztgeneration, wie mir von „Young MEDI“ bestätigt wird. Neben unseren Verträgen findet dort unser MVZ-Konzept großen Anklang. Wir sind damals in den Markt hineingegangen und haben unser Konzept so entwickelt, dass junge Kolleginnen und Kollegen sich in diesen MVZ anstellen lassen können und später die Leitung oder die Trägerschaft übernehmen können. Dazu haben wir weder die Bundesärztekammer noch andere Selbstverwaltungen gebraucht. Wir machten es einfach!
Smetak: Die Landschaft in unserem Gesundheitswesen verändert sich ja laufend und bedroht unsere Freiberuflichkeit und Selbstständigkeit. Deswegen bleiben wir fachübergreifend aufgestellt und wehrhaft. Darüber hinaus entwickeln wir für die nächsten Generationen konkrete Produkte, damit Ärztinnen und Ärzte und ihre Teams wieder bessere Perspektiven und mehr Freude an ihrer Arbeit haben. Dabei berücksichtigen wir immer, dass sich unsere Produkte auch tragen und in die Versorgungsstruktur passen.
MEDITIMES: Sie haben die Facharztverträge angesprochen. Lassen sie sich so fortsetzen?
Smetak: Ja! Wir müssen die Steuerung im System gemeinsam organisieren und die Verträge tragen sich aus sich heraus. Das waren ja die Gründe, warum wir sie seit Jahren umsetzen und weiterentwickeln. Dazu hat sich die AOK Baden-Württemberg uns gegenüber auch committed.
MEDITIMES: Schauen wir doch auch noch auf die andern Business-Bereiche, die in der Zuständigkeit der MEDIVERBUND AG liegen. Wie wird es da weitergehen?
Smetak: Unsere AG-Projekte bleiben, neben unserer politischen und standespolitischen Arbeit, ein wichtiges Standbein bei MEDI. Wie ich schon oben betont habe, legen wir Wert auf Konzepte, die unseren Mitgliedern direkt und unmittelbar nützen. Außer den Versorgungsverträgen und unseren MVZ zählen auch unsere IT-Projekte dazu.
Baumgärtner: Die Digitalisierung in Arztpraxen ist bei uns ein zentrales Thema. Sollte es in absehbarer Zeit eine Softwarelösung innerhalb der Telematikinfrastruktur (TI) geben, wäre das für unsere Kolleginnen und Kollegen eine gute Sache. Wogegen ich nach wie vor kämpfen würde, wäre die Zwangseinführung der ePA. Das wäre, so wie damals die TI, eine Totgeburt, weil die ePA nichts mit einer professionellen Kommunikation derjenigen zu tun hat, die in der Versorgung arbeiten – dafür ist sie ungeeignet. Sie wäre lediglich ein Add-on für die Patientinnen und Patienten, fakultativ hilfreich für die Kolleginnen und Kollegen und damit rein freiwillig sinnvoll.
MEDITIMES: Bleiben wir noch bei der IT: Wann kommen die garrio-Anwendungen auf den Markt?
Baumgärtner: Der Messenger garrioCOM steht in den Startlöchern und wird zunächst nur in Baden-Württemberg eingesetzt. Danach könnte ich mir vorstellen, dass er, als einheitliche Lösung für Behandler und Patienten, in anderen Bundesländern und sogar in Kliniken und anderen Einrichtungen zum Einsatz kommt. Es macht keinen Sinn, wenn die Patienten für jeden Arzt und jede Ärztin einen unterschiedlichen Messenger (App) nutzen müssten, dahin geht aber aktuell leider die Entwicklung. Darüber hinaus lassen wir vom garrio-IT-Team in Vietnam ein Praxisverwaltungssystem programmieren, das wir Ende des Jahres oder Anfang 2024 auf den Markt bringen möchten. Sowohl beim Messenger als auch beim AIS handelt es sich um Produkte, die von Ärzten und MFA entwickelt wurden und bei denen Ärzte das Sagen haben. Wir haben mit unseren Entwicklern und den Pilotpraxen ein System definiert, das alle Verknüpfungen hat, damit unsere Praxen vollumfänglich damit arbeiten können.
MEDITIMES: Inwieweit binden Sie die Ärztinnen und Ärzte, die bei MEDI Baden-Württemberg in „Young MEDI“ organisiert sind, in Ihre Entscheidungen ein?
Smetak: Bei „Young MEDI“ engagieren sich etwa 30 Kolleginnen und Kollegen, die sich in unserer politischen Ausrichtung wiederfinden und die wir fördern. Sie nehmen seit der letzten KV-Wahl 2022 an unseren Klausurtagungen teil und entwickeln mit uns zusammen unsere Projekte und Produkte weiter. Die neue Ärztegeneration hat oft zu einigen Dingen einen anderen Zugang als wir. Und wir beobachten, dass inzwischen mehr Ärztinnen dazukommen.
Baumgärtner: Nach der Gründung des MEDI Verbunds in Stuttgart bildeten etwa 50 Ärztinnen und Ärzte den harten Kern. Sie haben die Themen vorgegeben und weiterentwickelt. Altersbedingt brauchen wir eine neue Generation aktiver Ideengeber und Entwickler, die bestimmen, wohin die Reise bei MEDI gehen soll.
MEDITIMES: Herr Dr. Baumgärtner, welche Rolle werden Sie künftig bei MEDI spielen?
Baumgärtner: Ich ziehe mich aus dem Tagesgeschäft zurück, bleibe MEDI Baden-Württemberg und der MEDIVERBUND AG aber noch als Berater erhalten. Wir haben ein einmaliges Portfolio, unser Verein und unsere AG sind wirtschaftlich gesund und beschäftigt allein in Stuttgart rund 100 Menschen. Somit kann ich mich guten Gewissens zurückziehen. Meine Frau und ich planen, zeitweise im Ausland zu leben.
MEDITIMES: Vielen Dank Ihnen beiden für das Gespräch und alles Gute!
Das Interview führte Angelina Schütz