Vor einer Generation konnten niedergelassene Ärzte ihre Praxen noch für gutes Geld an geeignete Nachfolger verkaufen. Der Erlös war ein bequemes finanzielles Polster, ideal für den Start in den Ruhestand. Weil es heute anders aussieht, sind neue Entscheidungen gefragt.Die Abgabe der Praxis an einen Nachfolger hat für viele Ärzte etwas Schmerzliches. Selbst dann, wenn mit diesem Schritt gar keine finanziellen Einbußen verbunden sind. Mit der Abgabe oder Schließung der Praxis läutet man unüberhörbar die letzte Phase im Lebenszyklus ein. War es das jetzt?Vielleicht ist das der Grund dafür, dass die Praxisabgabe meistens nicht so effizient vorbereitet wird wie die Gründung. Andererseits ist Rita Gehring überzeugt, dass gerade heute der Ausstieg sehr langfristig geplant werden sollte. Die Projektleiterin Ärzteberatung bei der MEDIVERBUND AG bietet nicht nur Seminare zum Thema an, sondern berät auch Face to Face. Ihr ist es wichtig, den richtigen Zeitpunkt für den Ausstieg zu ermitteln. Grundsätzlich spielt natürlich die Höhe der Rentenansprüche eine zentrale Rolle. Eine der wichtigsten Fragen aber lautet: Wie sieht der Planungsbereich aus, in dem die Praxis liegt? Ist er offen oder gesperrt?Gibt es einen Nachfolger?Falls der Planungsbereich offen ist, könnte eine Praxisabgabe wie aus dem Bilderbuch in etwa sechs Monaten über die Bühne gehen. Vernünftigerweise sollte ein spezialisierter Anwalt einen Praxisübergabevertrag ausarbeiten. Zum Stichtag verzichtet der Praxisinhaber auf seine Zulassung und der Praxisübernehmer stellt einen Zulassungsantrag. Sollte der Planungsbereich gesperrt sein, wird die Praxisübergabe etwas aufwendiger. Auch in diesem Fall wird der Anwalt einen Praxisübergabevertrag ausarbeiten. Der Praxisinhaber muss einen Antrag auf Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens stellen. Fällt das Ergebnis positiv aus, wird die Praxis anschließend ausgeschrieben und der potenzielle Praxisübernehmer bewirbt sich auf die Nachbesetzung des Vertragsarztsitzes. Wenn alles glattläuft, verzichtet der Praxisinhaber zum Stichtag auf seine Zulassung und der junge Kollege stellt zum Stichtag einen Zulassungsantrag. „Dieser Ablauf dauert eher länger als sechs Monate“, weiß Gehring.Falls es Mitbewerber gibt, verändert sich das Prozedere. Der Praxisabgeber erhält sämtliche Bewerbungsunterlagen, kontaktiert jeden Bewerber und gibt ihm die nötigen Informationen über die Praxis. Nicht der Praxisinhaber, sondern der Zulassungsausschuss prüft die Eignung der Bewerber und entscheidet über den Nachfolger. Die entscheidende Frage lautet: Welcher Kandidat ist am besten geeignet zur Fortführung der Praxis mit dem bisherigen Leistungsspektrum? „Ausschlaggebend ist also nicht der Wunsch des Abgebers und auch nicht die vereinbarte Höhe des Kaufpreises“, warnt Gehring, „wichtige Auswahlkriterien sind Fachgleichheit und/oder Berufserfahrung im Fachgebiet.“Die MEDI-Fachfrau verdeutlicht die Vorgehensweise am Beispiel einer fachärztlich-internistischen Praxis: Angenommen, eine bisher gastroenterologisch ausgerichtete Praxis hat nicht nur einen gastroenterologisch ausgerichteten Bewerber, sondern es bewirbt sich außerdem ein Kardiologe oder Pneumologe um die Nachfolge. „In diesem Fall wird sich der Zulassungsausschuss mit ganz hoher Wahrscheinlichkeit für den Gastroenterologen entscheiden“, mutmaßt Gehring, „selbst wenn dieser über die kürzeste Berufserfahrung verfügt.“ Lange Verhandlungen mit aussichtslosen Kandidaten sind leider oft Zeitverschwendung. Gehring jedenfalls rät dem abgebenden Arzt, mit dem Interessenten am ernsthaftesten zu verhandeln, der vor dem Zulassungsausschuss die größten Chancen hat. In jedem Fall lohnt sich eine Beratung bei der zuständigen KV zum individuellen Sachverhalt.Kein Nachfolger in Sicht?Die Projektleiterin kennt einige Ärzte, die seit Jahren erfolglos nach einem Nachfolger suchen. Die Gründe dafür liegen nicht unbedingt beim Praxisinhaber. Kaum ein junger Arzt, kaum eine junge Ärztin sucht heute nach einer Einzelpraxis, wo ein Achtstundentag Luxus ist und der Abend oft mit Abrechnung, Buchhaltung oder Bürokratie verplant ist. Selbst ein Gewinn von 100.000 bis 120.000 Euro aus der eigenen Praxis ist nicht besser als ein marktübliches Angestelltengehalt. Die Bedürfnisse der nachfolgenden Generation decken sich – höflich ausgedrückt – nur ausnahmsweise mit den Angeboten auf dem Markt. „Der Boden brennt“, lautet Gehrings knapper Kommentar, „abgebende Ärzte müssen heute schnell handeln und flexibel bleiben.“Angesichts dieser Entwicklung ist das Warten vieler Ärzte auf den einen perfekten Bewerber Wunschdenken. Da die Hoffnung bekanntlich zuletzt stirbt, wird trotzdem weitergearbeitet und der ursprüngliche Zeitplan für die Praxisabgabe verzögert sich. „Irgendwann geben diese Ärzte auf und müssen die Praxis schließen“, warnt Rita Gehring und spricht von einer riesigen Welle, die noch auf uns zukommen wird. Längst seien nicht mehr nur Hausärzte davon betroffen. Auch HNO-Ärzte oder konservativ tätige Augenärzte haben es in einigen Regionen ganz schön schwer, Praxen zu verkaufen. Aktuelle Zahlen aus Baden- Württemberg (siehe Tabelle) zeigen, dass offene Planungsbereiche für einzelne Facharztgruppen zu einem Dauerzustand werden.Auch ohne einen Nachfolger in Sicht sollte man den Ausstiegstermin aus dem Berufsleben planen, rät Gehring. Wenn durch das Ausbleiben eines Verkaufserlöses eine finanzielle Lücke klafft, kann die Situation gemeinsam mit dem Steuerberater analysiert werden. Dann lässt sich ein Stichtag festlegen, zu dem man sich die Aufgabe der Praxis leisten kann.Alternativen suchenDurchhalten bis zum bitteren Ende, bis gar nichts mehr geht – dieses Szenario schreit förmlich nach einem Ende mit Burnout. Andererseits kennt Gehring realistische Alternativen, die allerdings individuell und je nach Fachgruppe unterschiedlich ausfallen. Grundsätzlich ist es ein kluger Schachzug, das Gespräch mit den Kollegen vor Ort zu suchen. Für Gehring ist das ein erster Schritt in Richtung Kooperation. „Aus der interkollegialen Kommunikation kann ein MVZ oder eine große überörtliche Berufsausübungsgemeinschaft entstehen“, meint sie, „Resultat kann aber auch eine Anstellung als Arzt bei einem jüngeren Kollegen sein.“Die Inhaber einer größeren Praxis oder eines MVZ mit zunehmender Spezialisierung der Fachdisziplinen können durchaus Interesse daran haben, einen älteren Kollegen als Allrounder anzustellen. Dazu muss ein Antrag auf Anstellung gestellt werden, ein Kaufvertrag und ein Anstellungsvertrag werden abgeschlossen. Typisch ist eine allmähliche Reduktion der Arbeitszeit über einen Zeitraum von mehreren Jahren. Spätestens mit 58 sollte man sich auf die Suche nach einem solchen Arbeitsplatz machen, rät Gehring. Als Lohn für die Überwindung winkt eine Win-win-Situation für alle Beteiligten.