Auf den 8. Mai 2008 datiert ist der Aufbruch in eine völlig neue qualitätsgesicherte gesundheitliche Versorgung in Baden-Württemberg. An diesem Tag besiegelten AOK, Hausärzteverband und MEDI in Baden-Württemberg den bundesweit ersten freien Vertrag zur hausarztzentrierten Versorgung (HZV). Diese vertrauensvolle Partnerschaft trägt von Jahr zu Jahr mehr Früchte.
Mittlerweile profitieren 4.000 Haus- und Kinderärzte von besseren Arbeitsbedingungen durch Honorierung ohne Budgetierung sowie einer einfachen Abrechnung, was insbesondere mehr Zeit für die sprechende Medizin lässt. 1,55 Millionen eingeschriebene Versicherte, davon 60 Prozent mit chronischen Krankheiten und Mehrfach-erkrankungen, werden besser versorgt, wie die Evaluation der Universitäten Frankfurt am Main und Heidelberg bestätigen. Auch ansonsten ist die HZV als alternative Regelversorgung zukunftsweisend, etwa durch die schnellere Terminvergabe in den seit 2010 sukzessive angeschlossenen Facharztverträgen oder bei Antworten auf den Hausärztemangel. HZV-Praxen stehen für team- und arbeitsteilig orientierte Strukturen, sind für den Ärztenachwuchs nachweislich attraktiver und wirken somit dem Hausärzteschwund entgegen.
Die „Gesellschaft des langen Lebens“ mit weiterer Zunahme chronischer Erkrankungen und Multimorbidität geht mit dem Trend zu einer ausgeprägten Spezialisierung der Medizin einher. Für die Patientinnen und Patienten fehlt es an der notwendigen Abstimmung ihrer Behandlung. Dem Hausarzt als qualifiziertem „Rundum-Versorger“ vor Ort kommt daher eine zentrale Aufgabe zu. Er behandelt nicht nur alle Patientinnen und Patienten mit vielen unterschiedlichen gesundheitlichen Problemen, sondern steht als Koordinator im engen Austausch mit seinen Facharztkolleginnen und -kollegen. Der sich auch bereits vor zehn Jahren angesichts starrer Budgetierung, zunehmenden Honorarverlusten und fehlender Anerkennung abzeichnende Hausärztemangel ist mittlerweile in aller Munde.
Dr. Christopher Hermann, Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württemberg, erinnert sich: „Allen Beteiligten war damals klar, dass das Versorgungssystem dringend eine wettbewerbliche Frischzellenkur außerhalb der tradierten Strukturen benötigte. Dessen zentralistisches Einheitssystem hatte sich zudem bei immer mehr bürokratischen Vorgaben total festgefahren. Wir sehen heute, dass wir trotz anfangs massiver Gegenwehr durch die Altstrukturen Verbindlichkeit und Strukturierung für heute über 1,5 Millionen AOK-versicherte Patientinnen und Patienten im Land eine nachweislich bessere Versorgung auf freiwilliger Basis ermöglichen.“
Die HZV steht für einen Paradigmenwechsel in der hausärztlichen Versorgung. Den teilnehmenden Versicherten der AOK Baden-Württemberg bietet sie die Sicherheit des für sie jederzeit Verantwortung übernehmenden Hausarztes bei qualitätsorientierter und besser koordinierter Versorgung. Basis sind vertragliche Kriterien, wie eine durch Leitlinien gestützte Diagnostik und Therapie, verbindliche Qualitätszirkel unter den teilnehmenden Ärzten und eine rationale Pharmakotherapie.
Dr. Berthold Dietsche, Vorsitzender des Hausärzteverbands Baden-Württemberg und Teilnehmer der ersten Stunde kann das bestätigen: „Die HZV ist die wichtigste Errungenschaft für die Hausärzte. Die leistungsgerechte Honorierung in festen Eurobeträgen ohne Budgetierung sichert die wirtschaftliche Zukunft unserer Praxen und bietet Planungssicherheit, zum Beispiel für die Anstellung von angestellten Ärzten. Und die HZV steht auch für moderne, teamorientierte Praxisstrukturen. Die Erfahrungen belegen, dass die Weiterführung von HZV-Praxen eindeutig besser gelingt als in reinen KV-Praxen.” Rund 2.200 Versorgungsassistentinnen in der Hausarztpraxis (VERAH) entlasten landesweit die Ärzte unter anderem durch Routinehausbesuche und spielen so eine zentrale Rolle bei einer zeitgemäßen Patientenversorgung.
Zur alternativen Regelversorgung gehören mittlerweile sechs erfolgreich laufende Facharztverträge für neun Facharztgruppen mit über 1.900 teilnehmenden Ärzten und Psychotherapeuten. Dr. Werner Baumgärtner, Vorstandsvorsitzender von MEDI Baden-Württemberg und MEDI GENO Deutschland, erklärt dazu: „Die Kombination aus Hausarzt- und Facharztverträgen ist wegen der Zunahme älterer und versorgungsintensiver Patienten zunehmend wichtiger. Dazu bedarf es insbesondere verbindlich geregelter Schnittstellen, was systembedingt in der KV-Regelversorgung nicht funktionieren kann.“
Innovativ sind die Vertragspartner in vielen Bereichen unterwegs. „Durch unsere eigene Gestaltungsautonomie in den Haus- und Facharztverträgen wollen wir auch die gemeinsamen Chancen der Digitalisierung sinnvoll nutzen. Hohe Priorität hat dabei, die strukturierte Zusammenarbeit der an den Verträgen teilnehmenden Praxen auf eine jederzeit sichere, elektronisch vernetzte Basis zu stellen“, so AOK-Chef Hermann. Im Herbst werden die aktuellen Ergebnisse der mittlerweile vierten Evaluationsrunde veröffentlicht. Der HZV-Vertrag wird seit Beginn durch eine unabhängige Versorgungsforschung der Universitäten Frankfurt am Main und Heidelberg begleitet. Sie überprüft die alternative Regelversorgung im direkten Vergleich mit der bekannten Regelversorgung und filtert Anhaltspunkte zur weiteren Entwicklung der Verträge. Damit sind die HZV- und Facharztverträge auch Vorbild in punkto Transparenz und Zukunftsorientierung.