Jedes vierte Kind im Südwesten von psychischen Störungen betroffen

Auch Kinder und Jugendliche leiden vielfach bereits an psychischen Störungen und Verhaltensstörungen. Zu den psychischen Störungen, die im Kindes- und Jugendalter auftreten, zählen Depressionen, Angstzustände, Sozialverhaltensstörungen oder Schizophrenie. Laut einer Analyse des Projekts „Versorgung psychisch kranker Kinder und Jugendlicher in Deutschland“ unter der Leitung von Prof. Dr. Jörg Fegert (Universitätsklinikum Ulm) beginnt fast die Hälfte der psychischen Erkrankungen bereits in der Pubertät, bei 75 von 100 psychischen Störungen liegt der Krankheitsbeginn vor dem 25. Lebensjahr. Um die Betreuung und Versorgung in diesem lebensprägenden Zeitraum zu verbessern, hat die AOK Baden-Württemberg zusammen mit MEDI Baden-Württemberg und der Interessengemeinschaft der Kinder- und Jugendpsychiater sowie Kinder- und Jugendpsychotherapeuten (IG KJPP) den Versorgungsvertrag Psychiatrie, Neurologie und Psychotherapie (PNP-Vertrag) um das Modul „Kinder- und Jugendpsychiatrie“ multidisziplinär erweitert. „Wir wollen es gemeinsam schaffen, seelisch belasteten jungen Menschen und ihren Familien gezielt besser zu helfen. Damit dies gelingt, haben wir mit unseren Ärztepartnern die Voraussetzungen für schnellere und umfassendere individuelle Behandlungsstrukturen nach aktuellem Stand der Wissenschaft geschaffen“, sagt Dr. Christopher Hermann, Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württemberg. Die Versorgung mit dem neuen Modul startet am 1. April 2019.

Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) erleben 10 bis 20 von 100 Kindern und Jugendlichen mentale Störungen. Weil jeder junge Mensch das Recht auf körperliches und seelisches Wohlergehen hat, fordern WHO und Robert Koch-Institut, die psychische Widerstandskraft und deren Schutzfaktoren bei Kindern und Jugendlichen zu stärken sowie die Risiken zu minimieren. Dafür sind eine psychosoziale und damit ganzheitlich ausgerichtete Beratung und Versorgung erkrankter Kinder und Jugendlicher wichtig. Deshalb haben sich Hausärzte, Pädiater, Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendpsychiater mit der AOK Baden-Württemberg darauf geeinigt, die seelische Gesundheit im Sinne des biopsychosozialen Modells zu fördern und die multidisziplinäre Versorgung zu einem alltagsnahen Hilfenetz zusammengeführt.

„Bei psychiatrischen Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter fehlt es uns im ambulanten Bereich seit Jahren an ausreichend Zeit für die notwendige multidimensionale Diagnostik und Therapie. Hier setzt der Vertrag neue Maßstäbe in der Versorgung. Uns steht mehr Zeit für die Therapie der Kinder und Jugendlichen zur Verfügung. Wir können verstärkt auch sozialpsychiatrische Fachkräfte einbeziehen. Zudem werden wichtige Schnittstellen erstmals systematisch berücksichtigt, beispielweise das Entlassmanagement aus Kliniken und der strukturierte Übergang in die Erwachsenenmedizin”, sagt Raymond Fojkar von der IG KJPP. Teil dieses Netzes sind auch Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen des Sozialen Dienstes der AOK, die den Betroffenen und ihren Familien vertraulich und vertrauensvoll mit Rat und Tat zur Seite stehen. Hinzu kommen zudem niedrigschwellige unterstützende Online-Angebote wie beispielsweise Moodgym oder der ADHS-Elterntrainer.

Wichtig für eine umfassende und rasche Hilfestellung ist auch, dass die jungen Betroffenen keine Scheu haben, einen Arzt aufzusuchen. Der wiederum benötigt ausreichend Zeit, um die Ursachen zu ergründen und zu beraten, welche Hilfsmöglichkeiten individuell optimal unterstützen können. „Das Modul fördert die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Haus- bzw. Kinderärzten und Fachärzten. Es gewährleistet beispielsweise eine bessere persönliche Erreichbarkeit des Kinder- und Jugendpsychiaters“, ergänzt Dr. Werner Baumgärtner, Vorstandsvorsitzender von MEDI Baden-Württemberg.

Auswertungen der AOK Baden-Württemberg zeigen die Bedeutung dieser neuen Behandlungsstrukturen für die Betroffenen und ihre Familien: Ärztlich festgestellte F-Diagnosen, die psychische und Verhaltensstörungen umfassen, treten im Südwesten bei 28 von 100 7- bis 13-Jährigen auf und bei 23 von 100 Jugendlichen zwischen 14 und 17 Jahren. Jungen sind davon häufiger betroffen als Mädchen. Damit gehören diese Krankheitsbilder insgesamt zu den häufigsten Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter.

Bildunterschrift

Zufriedene Partner nach Unterzeichnung der Ergänzungs- und Änderungsvereinbarung zum PNP-Vertrag i.Z.m. der Erweiterung um das Fachgebiet Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie

(v.l.n.r.) Dr. Christopher Hermann, Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württemberg; Raymond Fojkar, Vertreter der Interessengemeinschaft niedergelassener Ärztinnen und Ärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie in Baden Württemberg (IG KJPP); Dipl. Soz.-Päd. Michaela Willhauck-Fojkar, stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Psychotherapeuten Vereinigung e.V. der Landesgruppe Baden-Württemberg (DPtV); Dr. Werner Baumgärtner, Vorstandsvorsitzender von MEDI Baden-Württemberg und MEDI GENO Deutschland; Frank Hofmann, Vorstand der MEDIVERBUND AG.

Foto: Thomas Kienzle

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