Seit Mitte Januar läuft in den drei Modellregionen Franken und Hamburg sowie Teilen von Nordrhein-Westfalen die Testphase für die elektronische Patientenakte (ePA). Eine der beteiligten Praxen ist die von Dr. Jana Husemann im Hamburger Stadtteil St. Pauli. Die Hausärztin ist eigentlich ein großer Fan digitaler Anwendungen – und zieht dennoch nur ein eher ernüchterndes Zwischenfazit.
Jahrgang 1982, niedergelassen in einer Gemeinschaftspraxis mit fünf weiteren ärztlichen Kolleginnen und Kollegen, Vorsitzende des Hausärzteverbands Hamburg, stellvertretende Sprecherin der AG Digitales im bundesweiten Hausärztinnen- und Hausärzteverband – Dr. Jana Husemann verkörpert quasi den Prototyp einer modernen, digitalaffinen niedergelassenen Ärztin. Entsprechend spannend findet sie es, mit ihrer Praxis als eine von bundesweit 300 Einrichtungen, die elektronische Patientenakte (ePA) noch vor dem bundesweiten Rollout testen zu können. Ursprünglich war als offizieller Starttermin einmal der 15. Februar 2025 avisiert worden. Aktuell geht das Bundesgesundheitsministerium allerdings aufgrund erforderlicher Verbesserungen bei der Sicherheit der ePA von einer frühestmöglichen bundesweiten Nutzung Anfang des zweiten Quartals aus.
Husemann konnte in ihrer Praxis mit zwei verschiedenen Praxisverwaltungssystemen (PVS) Erfahrungen mit der ePA sammeln. Grund dafür war ein ohnehin geplanter Wechsel von Quincy auf Tomedo, Anfang Februar. Ihre Beobachtung: „Wie schnell man die ePA ins Laufen bringt, kommt stark auf die jeweilige Praxissoftware an.“ Ähnliches hört sie auch in den Austauschrunden der Testpraxen, die im wöchentlichen Rhythmus stattfinden: „Da höre ich zum Teil viel Frust“, berichtet die Hausärztin, „denn je nach PVS braucht es sehr viele Klicks, um zum gewünschten Menüpunkt zu gelangen – das ist extrem zeitaufwändig.“
Fehlender Mehrwert und technische Stolpersteine
Zufrieden äußert sich Husemann über die Betreuung in den Modellregionen: „Die Ansprechpersonen dort sind wirklich sehr engagiert.“ Positiv überrascht war sie zudem von der Ladegeschwindigkeit der ePA: „Ich hatte vorher große Bedenken, aber die ePA lädt in beiden getesteten PVS sehr schnell. Allerdings konnte ich mit dem einen System beim Laden von Daten nicht weiterarbeiten, beim anderen hingegen schon.“ Sie fügt allerdings einschränkend hinzu, dass derzeit ja bundesweit nur 300 Leistungserbringer auf die zentrale Infrastruktur zugreifen: „Ob die Ladezeiten immer noch so schnell sind, wenn alle Praxen und Kliniken mitmachen und zeitgleich die ePA abertausender Versicherter laden wollen, werden wir sehen.“
Doch Husemann übt auch deutliche Kritik. So funktionierte vor allem zu Beginn der Testphase der Zugriff auf die ePA häufig nicht: „Die Patientinnen und Patienten kamen in die Praxis, hatten der ePA-Nutzung nicht widersprochen – und trotzdem konnte ich nicht auf ihre ePA zugreifen. Das war der Fehler, der am häufigsten aufgetreten ist.“ Davon abgesehen sieht Husemann zumindest zum aktuellen Zeitpunkt kaum Vorteile der ePA für die Patientenversorgung: „Momentan ist die ePA nur eine PDF-Sammlung. Labordaten oder Medikationspläne zum Beispiel müssten als strukturierte Datensätze vorliegen, damit wir sie in unser PVS übernehmen können. Das ist aktuell nicht der Fall.“
Maximale Hürden für Versicherte beim Zugang zur ePA
Ein weiteres gravierendes Problem sei der Zugang für die Versicherten selbst. „Es ist maximal schwierig, sich anzumelden und Zugang zur eigenen ePA zu bekommen“, kritisiert die Hausärztin. Gerade der Personenkreis, der am meisten profitiere – ältere Menschen, multimorbide Patientinnen und Patienten oder Personen mit Sprachbarrieren – würden beim umständlichen Anmeldeprozedere auf schier unüberwindbare Hürden stoßen. „Damit das wirklich eine patientengeführte Akte wird, muss für die Versicherten zwingend der Zugang erleichtert werden“, fordert sie.
Umso mehr erstaunt es die Hamburger Hausärztin, dass es kaum Rückmeldungen ihrer Patientinnen und Patienten zur ePA gibt: „Ich hätte gedacht, dass viele Nachfragen zu Datenschutz und Sicherheit kommen – insbesondere nachdem der Chaos Computer Club Anfang des Jahres massive Sicherheitslücken bei der ePA aufgedeckt hat.“ Doch die meisten interessieren sich laut Husemann nicht für das Thema – obgleich sie in ihrer innenstädtisch gelegenen Praxis ein eher jüngeres Klientel versorgt, von dem man eigentlich größeres Interesse an Datenschutzthemen erwarte. „Die meisten sind einfach völlig indifferent und zeigen weder Begeisterung noch große Skepsis“, beobachtet sie. Nur eine einzige Patientin habe die Hausärztin bislang auf den Datenaustausch mit anderen Arztpraxen via ePA angesprochen, weil sie davon ausging, dass das System schon in vollem Umfang funktioniert. „Das zeigt mir, dass die Infokampagne zur ePA nicht ausreichend war“, meint Husemann.
Verlässliche Sicherheit vor übereiltem bundesweitem Rollout
Ein einziges Mal konnte die ePA in ihrer Praxis aber auch einen echten Mehrwert liefern: „Da hatte eine Patientin während meines Urlaubs vom Vertretungsarzt ein Antibiotikum verschrieben bekommen, erinnerte sich aber nicht an den Namen des Medikaments. Ich konnte es in ihrer ePA in der Medikationsliste nachsehen“, berichtet die Hamburger Ärztin. Grundsätzlich findet sie die ePA daher absolut sinnvoll: „Es gibt ja viele Patientinnen und Patienten, die viele verschiedene Facharztpraxen konsultieren und ihre Hausarztpraxis nicht darüber informieren.“ Doch die aktuelle technische Umsetzung kann Husemann noch nicht so recht überzeugen. Sie findet daher: „Der bundesweite Rollout zum 1. April ist illusorisch. Das System muss erst bei allen PVS richtig funktionieren, sonst schadet das der Akzeptanz der ePA langfristig.“
Ähnlich argumentiert auch MEDI seit geraumer Zeit. Der Ärzteverband hat zum Start der Testphase eine neue große Patientenkampagne gestartet, um auf die Risiken der ePA-Nutzung hinzuweisen. Darin fordert MEDI, die ePA erst dann bundesweit auszurollen, wenn garantiert werden kann, dass sie sicher und im Alltag praktikabel ist – ohne den laufenden Praxisbetrieb zu stören. Der Vorsitzende von MEDI Baden-Württemberg e. V. Dr. Norbert Smetak – selbst praktizierender Kardiologe – erklärte dazu: „Wir haben uns schon sehr früh mit verschiedenen Expertinnen und Experten zur ePA ausgetauscht und erkannt, dass die ePA in der aktuellen Version nicht an den Start gehen kann. Es gibt zum jetzigen Zeitpunkt noch massive Sicherheitslücken, offene Fragen zur ärztlichen Schweigepflicht, aber auch viel Skepsis, was die Praktikabilität in unserem Praxisalltag angeht.“
Antje Thiel