Burnout: Das High-Touch-Phänomen

26. März 2025

Das Telefon klingelt den ganzen Tag, Patientinnen und Patienten stehen ungeduldig am Tresen und parallel benötigt die Chefin oder der Chef Unterstützung. Diese täglichen Praxissituationen kennen alle MFA. Täglich sind sie einem besonders hohen Maß an Stress und Multitasking ausgesetzt. Aber wann ist alles zu viel und droht vielleicht sogar ein Burnout?

„Augen zu und durch“ ist Amandas (Name von der Redaktion geändert) Lebensmotto. Alle MFA sind am Limit? Sie doch nicht. „Ich liebe meinen Beruf seit 20 Jahren, trotz allem. Ich habe einen tollen Chef, ein super Team und verdiene überdurchschnittlich. Die Verhältnisse in der Gesundheitsversorgung kann ich nicht ändern, auch wenn gefühlt alles immer schlimmer wird“, sagt Amanda.

Dass Amanda an ihren freien Tagen keine Lust hat, sich mit Freundinnen zu treffen, ins Kino oder zum Sport zu gehen, behält sie für sich. Dass sie seit Wochen keine Nacht durchschläft, abends kein Buch mehr liest, weil sie Kopf- und Rückenschmerzen hat, auch. Dass sie nicht mehr kocht, in Endlosschleife grübelt und sich innerlich leer fühlt, sowieso.

Ausgebrannt und erschöpft

Das Phänomen Burnout ist bekanntlich keine Diagnose. Das Ausgebranntsein als Zustand ausgeprägter Erschöpfung und Stress wird derzeit im gültigen ICD10 mit Z73 – Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung – klassifiziert. Die überarbeitete ICD11-Version der WHO definiert Burnout (Code: QD85) als „Syndrom, das durch chronischen Stress am Arbeitsplatz entsteht, der nicht erfolgreich bewältigt wurde.“ Typisch sind Gefühle von Energiemangel oder Erschöpfung, zunehmende mentale Distanz zur eigenen Arbeit oder Gefühle von Negativismus oder Zynismus in Bezug auf die eigene Arbeit sowie ein Gefühl von Ineffizienz und mangelnder Leistung. Diese in Deutschland noch nicht flächendeckende Klassifikation möchte „Burnout“ nur im beruflichen Kontext verwendet wissen, nicht für Belastungen in anderen Lebensbereichen. Dr. Reza Hafiz, Arzt, Jurist und Buchautor, beschreibt das Phänomen in seinem Buch so: „Burnout zeigt, dass man zu lange gegen die eigenen Bedürfnisse gelebt hat.“

Lange bekannt:  Medizinische Fachangestellte sind Burnout-gefährdet

Dass gerade Mitarbeitende in medizinischen Assistenzberufen ausbrennen können, hat Diplompsychologin Birgit Reime – heute Professorin für Gesundheitsförderung an der Hochschule Furtwangen – bereits vor knapp 30 Jahren in der ersten wissenschaftlich fundierten psychologischen Studie herausgefunden, bei der damals noch Arzthelferinnen zu Burnout befragt wurden. Verglichen mit anderen medizinischen Berufsgruppen waren sie am stärksten ausgebrannt: Sie zeigten sich niedergeschlagen und hoffnungslos, negativ eingestellt und verloren ihr Vertrauen in eigene Fähigkeiten. Auch der Verband medizinischer Fachberufe weist immer wieder auf die Gefahr von Burnout hin.

Lässt sich Burnout vorhersagen?

Berufsübergreifend sind es diese Faktoren, die zu Burnout führen können:

  • unfaire Behandlung im Beruf
  • unkontrollierbare Arbeitsbelastung
  • Zeitdruck
  • mangelnde Rollenklarheit
  • fehlende Kommunikation und Unterstützung durch Vorgesetzte
  • Urlaubsunterbrechungen

Mit psychologischen Tests lässt sich das Burnout-Risiko relativ zuverlässig voraussagen. Für Medizinische Fachangestellte hatte das beispielsweise im Jahr 2020 ein Team der Pädagogischen Hochschule Freiburg untersucht.

Menschen in sozialen Berufe werden emotional mehr belastet

Wer an und mit Menschen arbeitet, wird emotional und kognitiv sehr beansprucht – mehr als Personen, deren Tätigkeit nicht durch Interaktionsarbeit geprägt ist. Für Dienstleistungs-, Gesundheits- und Sozialberufe trifft das in besonderem Maß zu. Die im Jahr 2024 veröffentlichte Studie der Universität Magdeburg Psychische Gesundheit und Burnout-Risiko bei weiblichen Beschäftigten verschiedener Berufsgruppen mit hohem Anteil an Interaktionsarbeit untersuchte und verglich Daten von 315 Erzieherinnen, Medizinischen Fachangestellten und Bankangestellten, wobei nicht alle Frauen alle Fragebogen vollständig ausfüllten. Diese Berufsgruppen werden von den Forschenden als sogenannte „High-Touch-Berufe“ bezeichnet, weil sie besonders viele soziale Kontakte haben.

Besonders für Erzieherinnen und MFA erwarteten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, dass sie ihre psychische Gesundheit schlechter einschätzen und das Burnout-Risiko höher sei als bei Bankangestellten. Medizinische Fachangestellte gaben als häufigste Belastungsfaktoren an:

  • eine hohe Patientenzahl (97,7 Prozent),
  • ein steigender Dokumentationsaufwand (86,4 Prozent),
  • ein zu geringes Gehalt und eine große Erwartungshaltung der Patientinnen und Patienten (jeweils 77,3 Prozent)
  • Probleme mit dem Verhalten der Patientinnen und Patienten (65,9 Prozent) 

Länge der Tätigkeit wirkt sich auf Burnout-Risiko aus 

Die Probandinnen waren zwischen 22 und 66 Jahre alt und durchschnittlich etwa 20 Jahre im Beruf tätig. Besonders erwähnenswert fand das Forscherteam, dass Medizinische Fachangestellte, in der Studie überwiegend als Arzthelferinnen bezeichnet, die wenigsten Berufsjahre aufwiesen. Bezogen auf die Berufsgruppen fanden sich keine wesentlichen Unterschiede bezüglich einer beeinträchtigten psychischen Gesundheit. Diese zeigte sich bei 21,5 Prozent der Erzieherinnen, bei 25,5 Prozent der MFA und bei 21,6 Prozent der Bankangestellten. Der Grad der emotionalen Erschöpfung war bei allen Berufsgruppen durchschnittlich ausgeprägt. Zynismus war bei Erzieherinnen und Arzthelferinnen weniger vorhanden als bei Bankangestellten. Alle Berufe zeigten eine hohe Leistungsfähigkeit. Bezüglich Alter und Beruf fanden sich hinsichtlich der psychischen Gesundheit und des Burnout-Risikos keine gravierenden Unterschiede zwischen den Berufsgruppen. Allerdings zeigte sich laut Studie, dass eine lange Tätigkeit im Beruf „einen kleinen Effekt auf die emotionale Erschöpfung und das Burnout-Risiko insgesamt“ hat.

Prävention verhindert lange Arbeitsunfähigkeit

Diese drei Kernaussagen fasst das Magdeburger Forscherteam in seiner Studie zusammen:

  • Bei über 20 Prozent der Beschäftigten mit Interaktionsarbeit ist die psychische Gesundheit bereits beeinträchtigt, bei Medizinischen Fachangestellten waren es sogar knapp 25 Prozent.
  • Bei 36 Prozent der Befragten treten einige Burnout-Symptome mehrmals im Monat auf und bei vier Prozent besteht ein Burnout-Risiko, wobei Erzieherinnen mit fünf Prozent den höchsten Wert aufwiesen.
  • Gezielte Präventionsmaßnahmen, um die psychische Gesundheit zu stärken und das Burnout-Risiko zu minimieren, sind notwendig und sollten etabliert werden, insbesondere bei Beschäftigten in Gesundheits- und Sozialberufen.

Tipps bei Burnout-Gefährdung

Bezogen auf die Arztpraxis können flexible Arbeitsmodelle, wertschätzende Kommunikation, Supervision, Fort- und Weiterbildung sowie gesundheitsfördernde Maßnahmen das Burnout-Risiko mindern.

Der Verband Pro Psychotherapie e. V. hat in einem „Alltagsratgeber für mehr Lebensgenuss und Ruhe“ Tipps gegen Burnout-Gefährdung zusammengefasst. Sie gelten nicht nur für MFA. Diese wichtigen Lebensbereiche spielen dabei eine wesentliche Rolle: Bewegung, Rückzugsorte, Schlaf, Ernährung, Paarzeit, freie Tage, Berührung, Spaß, Digital Detox, Pausen und Entspannung.

Vor einem Jahr gestand sich Praxismanagerin Amanda ihre zunehmende Erschöpfung nicht ein. Heute weiß sie: „Ich würde nicht mehr so lange warten, bevor ich mir Hilfe suche. Obwohl ich fachlich genau wusste, dass ich chronisch erschöpft bin, habe ich gehofft, dass es schon von allein wieder besser werden würde. Erst in einer psychosomatischen Reha-Klinik habe ich begriffen, dass ich viel zu lange nicht auf meine innere Stimme gehört habe.“

Überrascht ist Amanada, wie wenig Gegenwind sie spürt, seit sie klar Nein sagen kann – bei der Arbeit, in der Familie oder in der Freizeit. Spaß mit ihren Freundinnen hat sie seitdem wieder regelmäßig. Und sie geht auch wieder ausgeglichener in die Praxis.

Gehören Sie zu den vier Prozent der Medizinischen Fachangestellten, die glauben, bereits ein Burnout zu haben? Dann suchen Sie professionelle ärztliche Hilfe auf.

Zum Weiterlesen: Burnout-Syndrom (mit Selbsttest)

Dagmar Möbius

 

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