Wachsende Patientenzahlen, steigende Anforderungen an die Therapie und fehlende Finanzierung im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) stellen diabetologische Schwerpunktpraxen (DSP) bundesweit vor große Herausforderungen. Wer sich in Baden-Württemberg dem MEDI-Diabetologievertrag angeschlossen hat, ist deutlich besser dran. Der Diabetologe Dr. Richard Daikeler erläutert die Stärken des Vertrags – und erklärt, warum er den Protest der Kolleginnen und Kollegen bundesweit unterstützt.
Pressemitteilungen, Aushänge in den Wartezimmern, Aufrufe in den sozialen Medien – in den vergangenen Monaten sorgte eine Online-Petition des Bundesverbands Niedergelassener Diabetologen (BVND) für großen Wirbel. Mit ihr wollte der Verband auf die existenzbedrohende Gefahr hinweisen, die Diabetespraxen durch das von dem noch amtierenden Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach eigentlich geplante Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) droht.
Die Petition zielte auf eine Anpassung des Gesetzesentwurfs. Zentraler Kritikpunkt: Das GVSG sah für chronisch kranke Patientinnen und Patienten neue Vergütungsmodelle in Form von Jahrespauschalen anstelle von Quartalspauschalen vor. Diese sind allerdings in erster Linie auf Hausarztpraxen zugeschnitten, werden jedoch den speziellen Anforderungen und hohen Kosten einer diabetologischen Schwerpunktpraxis (DSP) nicht gerecht. Nicht zuletzt dank der Unterstützung von über 92.000 Menschen fand die Petition auch im Bundesgesundheitsministerium Gehör, wo man die Problematik erkannt hat und angehen möchte.
Unzureichende Honorierung diabetologischer Leistungen
Einer der Unterzeichner der Petition ist der MEDI-Arzt und Sinsheimer Diabetologe vom Vorstand der Genossenschaft Diabetologen eG Baden-Württemberg Dr. Richard Daikeler. Nach dem Aus der Ampel-Koalition ist es zwar unwahrscheinlich, dass das GVSG wie geplant in Kraft treten wird – doch das Grundproblem der unzureichenden Honorierung diabetologischer Leistungen bleibt. Für Daikeler ist klar: „Die Chronikerpauschalen im EBM decken weder Schulungen ab, noch den Aufwand zur Versorgung mit modernen Technologien wie der kontinuierlichen Glukosemessung (CGM) und Systemen zur automatisierten Insulindosierung (AID).“
In seinen Augen ist dies ein grundsätzliches Dilemma der Diabetologie, die nirgends als eigenständige Fachgruppe abgebildet ist. „Wir müssen immer mit Behelfsziffern arbeiten und uns an Vergütungssysteme anpassen, die für uns nicht gedacht sind.“
Eine entscheidende Alternative – zumindest für Diabetologinnen und Diabetologen, die in Baden-Württemberg praktizieren – bietet der 2017 gestartete MEDI-Facharztvertrag Diabetologie. „Unser Vertrag zielt auf bestimmte Bereiche ab, sprich die Versorgung von Menschen mit Typ-1-Diabetes mit Glukosesensoren, Insulinpumpen- oder AID-Therapie und die Behandlung von Gestationsdiabetes und diabetischen Fußläsionen,“ erklärt Daikeler. Damit lassen sich zumindest die besonders aufwändigen Leistungen wie die Ersteinstellung und Folgebetreuung bei CGM- und Pumpentherapien wirtschaftlich darstellen.
CGM-Systeme werden ohne Schulung oft nicht sinnvoll genutzt
Davon profitieren nicht nur die teilnehmenden Praxen, sondern auch die Kostenträger und die Versicherten, wie Daikeler weiß: „Im Rest der Republik, wo es keinen Diabetologievertrag wie bei uns gibt, werden zum Beispiel CGM-Systeme häufig quasi blind verordnet, ohne Schulung und fortlaufende Beratung.“ Ohne intensive Aufklärung könnten die Systeme aber kaum sinnvoll genutzt werden. Der Vertrag setzt dagegen auf strukturierte Schulungen, die sowohl die technische Handhabung als auch die praktische Anwendung im Alltag umfassen: „Die Patientinnen und Patienten müssen viele Dinge lernen, etwa wann die Wirkung der verschiedenen Insuline einsetzt, mit welchem Lebensstil man Glukoseanstiege vermeiden kann und dass ein CGM-System durch Liegen auf dem Sensor auch manchmal falschniedrige Werte anzeigt“, sagt Daikeler. Für eine derart umfassende Betreuung und Beratung seien die Strukturen und die fachliche Expertise von DSP unverzichtbar.
Allerdings ist der MEDI-Facharztvertrag Diabetologie bis dato nicht als Vollversorgervertrag konzipiert. Um die Diabetologie zu erhalten und abzusichern, würden die Diabetologinnen und Diabetologen in Baden-Württemberg ihn gern erweitern: „Wir möchten zum einen weitere Krankenkassen zur Teilnahme motivieren und auch die verbliebenen Ärztinnen und Ärzte an Bord holen, die aktuell noch nicht mitmachen“, berichtet Daikeler. Darüber hinaus möchten sie ihn auch für alle weiteren diabetologischen Leistungen öffnen, die üblicherweise in den DSP erbracht werden.
Grundsätzlich strebt man auch die Einführung einer eigenen Fachgebietsbezeichnung „Diabetologie“ an. Denn aktuell werden Diabetologinnen und Diabetologen zum Beispiel in Bezug auf ihr Arzneimittelbudget mit den Angehörigen ihrer ursprünglichen Fachrichtung – Allgemeinmedizin, Innere Medizin, Pädiatrie – und nicht mit anderen Diabetologinnen und Diabetologen verglichen. „Dabei verschreibt der Diabetologe viel häufiger neue und teure Medikamente, weil bei ihm nun einmal die Spezialfälle landen, die ihm der Hausarzt zur Weiterbehandlung überweist“, erinnert Daikeler und spielt auf die jüngsten Arzneimittel-Innovationen zur Therapie des Typ-2-Diabetes an.
Kommunikation und Austausch für die bestmögliche Therapie
Er ist davon überzeugt, dass genau diese Spezialfälle auch von der vertrauensvollen interdisziplinären Zusammenarbeit innerhalb des Facharztvertrags profitieren würden. Wie beispielsweise ältere Patientinnen und Patienten, bei denen es infolge ihrer Diabetestherapie häufig zu Hypoglykämien kommt. „Diese Patientinnen und Patienten werden vom Hausarzt geschickt, der Sorge wegen des Sturzrisikos hat.“ In solchen Fällen kann es unter Umständen sinnvoll sein, von Insulin zu einem GLP1-Rezeptoragonisten zu wechseln. „Wenn man vom Hausarzt aber nur eine Überweisung ohne relevante Zusatzinfos bekommt, der Patient selbst nicht so gesprächig ist und die Leistungen ohnehin nicht bezahlt werden, dann stehen die Chancen schlechter, dass man zu einer guten Therapie gelangt“, meint Daikeler. Im Facharztvertrag hingegen werde Kommunikation großgeschrieben: „Alle Beteiligten wissen besser übereinander Bescheid und tauschen sich aus. Im Rahmen des Vertrags ist es deshalb leichter, eine praktikable Lösung zu finden.“
Für Daikeler ist der MEDI-Facharztvertrag Diabetologie eine Lösung, die wegweisend für die Zukunft der diabetologischen Versorgung sein könnte. „Ohne den Vertrag wäre die wirtschaftliche Situation vieler DSP prekär,“ resümiert Daikeler. Doch um die Diabetologie langfristig abzusichern, seien mehr als regionale Vertragslösungen erforderlich – vielmehr brauche es eine eigenständige fachliche und wirtschaftliche Anerkennung, wie sie sich in Baden-Württemberg nunmehr abzeichnet.
Antje Thiel