Mehr ambulante Angebote, weniger Fokus auf die Kliniken – wohin die Reise bei der Weiterbildung im Fach Allgemeinmedizin gehen soll, ist eigentlich klar. Doch der Weg dorthin gestaltet sich allzu oft holprig. Ein neues Konzept von Young MEDI unter der Federführung der Allgemeinmedizinerin Dr. Christine Blum und des Orthopäden Dr. Ferdinand Gasser soll das ändern und die ambulante Weiterbildung attraktiver und zugänglicher gestalten.
Die Idee für das neue Konzept kam Dr. Christine Blum, niedergelassene Hausärztin in Stuttgart-Zuffenhausen, während ihrer eigenen Weiterbildung zur Allgemeinmedizinerin. Vor ihrem Wechsel in die Hausarztmedizin hatte sie bereits eine Weiterbildung in Orthopädie und Unfallchirurgie absolviert und fand: „In der Allgemeinmedizin ist die Weiterbildung ganz anders organisiert als in meinem vorherigen Fach.“ Die fünfjährige Weiterbildung gliedert sich in zwölf Monate Basisweiterbildung in der Inneren Medizin am Krankenhaus, 24 Monate ambulante Weiterbildung in einer allgemeinmedizinischen Praxis und weitere 24 Monate Zusatzweiterbildung, die flexibel gestaltet und in verschiedenen Fächern wie Chirurgie, Pädiatrie oder Dermatologie abgeleistet werden können. „Das hat zur Folge, dass man sich im Verlauf der Weiterbildung mindestens dreimal eine neue Stelle suchen muss“, sagt Blum.
Erfahrungen in ambulanten Praxen sammeln
Für angehende Hausärztinnen und Hausärzte macht das die Weiterbildung aus ihrer Sicht unnötig kompliziert. „Es gibt zwar bereits Weiterbildungsverbünde, in denen die Weiterbildung strukturiert und koordiniert organisiert wird – aber eben nicht in Stuttgart.“ Gemeinsam mit ihrem Kollegen Dr. Ferdinand Gasser, der im selben Ärztehaus wie sie als Orthopäde niedergelassen ist, entwickelte sie ein Konzept, das es Ärztinnen und Ärzten ermöglichen soll, im Verlauf der Weiterbildung im Fach Allgemeinmedizin umfassende Erfahrungen in ambulanten Praxen zu sammeln.
Gasser erzählt: „Dass jemand die Weiterbildung in der Praxis macht, kommt aktuell eher selten vor, obwohl doch die Ambulantisierung vorangetrieben werden soll.“ Doch wenn man den jungen Kolleginnen und Kollegen die Möglichkeit gebe, den ambulanten Sektor für ihre Weiterbildung zu nutzen, könnten sie ihn auch besser kennen und seine Vorteile schätzen lernen. Aus seiner Sicht geht die Weiterbildung in einer Praxis mit einer Reihe handfester Vorteile einher: „Es gibt keine Nacht- oder Wochenenddienste, dafür aber eine bessere Vergütung, Fortbildungsangebote wie Kurse in Nahttechniken, Sonografie und Chirotherapie – und zusätzliche Verdienstmöglichkeiten durch die Teilnahme an Bereitschaftsdiensten. Das sind ganz viele Zuckerl“, meint der Orthopäde. Die Praxis als Lernort sei zudem oft flexibler und biete eine engere Betreuung durch feste Ansprechpersonen – also ideale Voraussetzungen, um die nötigen Kenntnisse für die eigenständige Niederlassung zu erwerben.
Ein eigenes Haus auf dem virtuellen MEDIVERBUND Campus
Für ihr Konzept wollen Blum und Gasser, die sich auch aktiv bei Young MEDI engagieren, außerdem den MEDIVERBUND Campus nutzen, der ein großes Angebot an Fortbildungen für verschiedene Fachgruppen bereithält. Über diese digitale Fortbildungsplattform können MEDI-Mitglieder seit nunmehr über vier Jahren Live-Übertragungen von Kongressen und MEDI-Veranstaltungen, CME-zertifizierte Kurse oder medizinische Vorträge besuchen. „Dieser virtuelle Campus umfasst mehrere Häuser, in denen die verschiedenen Inhalte hinterlegt sind“, beschreibt Blum den Aufbau. Perspektivisch sei geplant, ein eigenes Haus für Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung einzurichten, in dem sie auf speziell für sie zusammengestellte Inhalte zugreifen können. Präsenzkurse, etwa für praktische Fertigkeiten wie das Nähen, sollen das Angebot ergänzen und praxisnahes Lernen ermöglichen. „Fortbildungen werden von jungen Kolleginnen und Kollegen immer geschätzt“, weiß Blum und ergänzt: „Dahinter steht auch die Idee, dem Nachwuchs ein niederschwelliges Komplettpaket anzubieten.“
Zentrale Aspekte des Konzepts sind Flexibilität, Transparenz und Planbarkeit: Blum und Gasser möchten eine Plattform schaffen, auf der alle verfügbaren Weiterbildungsstellen und Rotationsmöglichkeiten in den teilnehmenden MEDI-Praxen und Kliniken einsehbar sind. „Es soll für alle Beteiligten klar ersichtlich sein, wo welche Weiterbildungsmöglichkeit verfügbar ist und für welchen Zeitraum“, erklärt Blum. Dies erleichtere die Planung und sorgt für eine nahtlose Weiterbildung ohne unnötige Unterbrechungen.
Finanzielle Förderung für Haus- und Facharztpraxen
Doch auch MEDI-Praxen sollen von der Teilnahme profitieren. Zum einen wird die Weiterbildung in der Allgemeinmedizin finanziell gefördert. So erhalten Praxen, die Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung anstellen, von der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) aktuell 5.400 Euro pro Monat je Vollzeitstelle. Ab Januar 2025 erhöht sich dieser Betrag dann auf 5.800 Euro. Der Orthopäde Gasser betont: „Das gilt auch, wenn angehende Allgemeinmediziner in fachärztlichen Praxen ausgebildet werden.“ Wolle er in seiner Praxis einen Arzt oder eine Ärztin zur Weiterbildung in Orthopädie und Unfallchirurgie einstellen, sei die Förderung deutlich geringer. „Das Projekt soll also auch fachärztliche Praxen motivieren, sich in der Weiterbildung für Allgemeinmedizin zu engagieren.“
Das Konzept wird als Pilotprojekt mit zehn Praxen und kooperierenden Kliniken starten und soll bei erfolgreicher Umsetzung auf alle MEDI-Mitglieder ausgeweitet werden. „Wir wollen mit diesem Projekt den Einstieg in die ambulante Praxis und die spätere Niederlassung für junge Kolleginnen und Kollegen attraktiver gestalten“, sagt Dr. Gasser. Er sieht das Projekt als Investition in die Zukunft und eine Chance, mehr Ärztinnen und Ärzte für die hausärztliche Versorgung zu gewinnen.
Interessierte Praxen und Kliniken können sich über die Website telefonisch oder per Mail am MEDI wenden.
Antje Thiel