Wenn eine von zwei hausärztlichen Praxen in einem kleinen Ort schließt, stellt das auch die verbleibende Praxis vor große Probleme. Um die Versorgung im Ort langfristig zu sichern, hat MEDI-Hausarzt Dr. Volker Dietz seine Praxis vergrößert. Er beschäftigt nun mehrere Ärztinnen und Ärzte als Angestellte – und den älteren Kollegen, der seine eigene Praxis aufgegeben hat. Zum Gelingen hat auch die Unterstützung durch Bürgermeister und Stadtverwaltung beigetragen.
Külsheim ist ein kleiner Ort im Main-Tauber-Kreis im fränkischen Nordosten Baden-Württembergs. Rund 5.000 Menschen leben hier. Wer hier wohnt, kennt seine Nachbarn und sämtliche Funktionsträger im Fußballclub oder in anderen Vereinen. Familien werden zum Teil seit Generationen von derselben Hausarztpraxis betreut. Wenn einer der beiden ortsansässigen Hausärzte seine Praxis aus Altersgründen aufgibt, stellt das nicht nur seine Patientinnen und Patienten vor Probleme, sondern auch den Kollegen in der verbliebenen Hausarztpraxis.
Dr. Volker Dietz ist dieser verbliebene Kollege, der mit seiner Praxis in Külsheim die Stellung hält. Er ist dem Ort von klein auf verbunden. Schon seine Großeltern waren dort hausärztlich tätig, übergaben die Praxis dann in den 70er Jahren seinem Vater. Dieser holte 2009 seinen Sohn mit ins Boot, bevor er sich 2012 zur Ruhe setzte. Wer wie Dietz in dritter Generation eine Praxis führt, denkt eigentlich nicht ans Abwandern. Doch als sich abzeichnete, dass der Inhaber der zweiten Hausarztpraxis in Külsheim, Dr. Franz Meier, keinen Nachfolger oder keine Nachfolgerin finden würde, wurde ihm mulmig zumute: „Um uns herum ist nämlich nichts. Dann würden all seine Patientinnen und Patienten zu uns kommen.“ Für mehr Patientinnen und Patienten hatte seine Praxis aber keine Kapazitäten, obwohl längst auch eine weitere Medizinerin und Dietz’ Ehefrau Dr. Maren Dietz dort ärztlich arbeiteten. Menschen aus dem Ort abzuweisen, wäre für Dietz aber ebenfalls keine Option: „Man trifft sich im Supermarkt, beim Weinfest. Es ist für uns schwer vorstellbar, Menschen, die wir unter Umständen auch persönlich kennen, ablehnen zu müssen“, erklärt er. Schließlich seien er und seine Familie Teil der Gesellschaft, in der sie arbeiten.
Die Gründung eines MEDI-MVZ erschien Dietz schon Jahre zuvor als eine mögliche Option: „Meine Frau und ich sind schon lange bei MEDI aktiv, wir engagieren uns bei Young MEDI und fungieren als Ansprechpersonen für verschiedene Themen. Eigentlich finde ich das Konzept der MEDI-MVZ auch super.“ Doch die anderen Ärztinnen und Ärzte in der Umgebung hätten sich einen solchen Schritt nicht vorstellen können oder waren mental noch nicht so weit, sich mit der neuen Realität anzufreunden, berichtet er über seinen ersten Vorstoß zur nachhaltigen Umgestaltung der medizinischen Versorgung in Külsheim.
Drei Schreckensszenarien und ein Lösungsvorschlag
Nach einiger Zeit suchte Dietz erneut das Gespräch mit dem Bürgermeister, Thomas Schreglmann. „Fünf Jahre ist das nun her. Ich habe ihm mit einer Präsentation die Lage geschildert und verschiedene Szenarien aufgezeigt“, erinnert sich Dietz. „Entweder wir übernehmen die zusätzlichen Patientinnen und Patienten – was unter den gegebenen Umständen nicht funktioniert. Oder wir weisen sie ab – was wir nicht möchten. Oder wir schließen ebenfalls unsere Praxis und wenden uns einem anderen Tätigkeitsfeld zu“, so die ernüchternde Prognose des Hausarztes. Doch er hatte auch einen Lösungsvorschlag im Gepäck, für den er sich die Unterstützung der Kommune erhoffte: eine große, neue Praxis mit ausreichend Platz für weitere Ärztinnen und Ärzte, die als Angestellte bei ihm arbeiten. Darunter auch der zweite Hausarzt Meier, der zwar seiner Selbstständigkeit als Praxischef, nicht aber seiner ärztlichen Tätigkeit an sich den Rücken kehren wollte.
Glücklicherweise erfasste Bürgermeister Schreglmann sofort den Ernst der Lage: „Wenn es in einer Kommune zwei Praxen gibt und eine hört auf, dann wird der verbliebene Arzt ja Tag und Nacht beackert. Sonntags nach dem Gottesdienst heißt es dann: Ach, nehmen Sie mich doch noch auf, ich mache Ihnen keine Mühe, brauche nur einmal im Jahr ein Rezept. Die Leute betteln regelrecht. Das nervt, das möchte man sich nicht antun, überall auf Festen und auf dem Sportplatz angequatscht zu werden“, beschreibt der Bürgermeister die Situation. Er weiß: „Die große Gefahr ist dann, dass man den anderen auch noch verheizt.“
Bedürfnisse der jungen Generation im Blick
Doch genau darauf lief es vor fünf Jahren hinaus: „Dietz‘ Praxis platzte aus allen Nähten, seine Frau und die ärztliche Kollegin teilten sich ein Sprechzimmer“, erinnert sich der Bürgermeister. Er zeigte sich daher offen für die Idee eines neuen Standorts für ein größeres hausärztliches Zentrum. Schließlich weiß auch er um die Wünsche und Bedürfnisse der nachfolgenden Generation: „Die Jüngeren wollen oft ja nicht selbstständig sein. Dietz ist da eine Ausnahme, denn er ist über seinen Vater langsam hineingewachsen in die Rolle als Praxischef. Doch die meisten anderen möchten nicht Arbeitgeber für Angestellte sein, sich um Datensicherheit, Abrechnung und Finanzen kümmern“, meint Schreglmann. „Sie möchten mit geregelter Arbeitszeit und 30 Tagen Urlaub am Patienten arbeiten. Doch genau das geht nur in größeren Einheiten.“
Gemeinsam mit Dietz schaute er nach möglichen Bauplätzen für eine neue, größere Praxis. „Aber letztlich war es für ihn finanziell lukrativer, ein vorhandenes Gebäude zu sanieren und umzubauen.“ Auf dem Gebiet der ehemaligen Prinz-Eugen-Kaserne, einstmals Sitz eines Panzerbatallions, verfügte die Kommune über ein förmlich festgelegtes Sanierungsgebiet. Dieser Status bot die Chance auf finanzielle Zuschüsse vom Land Baden-Württemberg. Die Kommune Külsheim bewilligte den Bauantrag und stellte Dietz zusätzlich ein zinsloses Darlehen für sein Vorhaben in Aussicht. Mit dieser Unterstützung im Rücken kaufte der Hausarzt das letzte verbliebene Gebäude auf dem Areal und startete den Umbau und die Sanierung – obwohl seine bisherige Praxisinvestition noch nicht getilgt war und die alten Räumlichkeiten als steuerliche Belastung zurückbleiben würden.
Angestellt nach 36 Jahren Selbstständigkeit
Der Umbau entpuppte sich trotz der breiten Unterstützung als kräftezehrendes Großprojekt: „Unsere Planung begann mit Start der Pandemie und die Bauphase am Anfang des russischen Krieges gegen die Ukraine“, erzählt Dietz, der sich im Verlauf der Sanierung jeden Abend bis tief in die Nacht über Baupläne und Grundrisszeichnungen beugte. Glücklicherweise sei der Umbau trotz Inflation, steigender Bauzinsen und dem plötzlichen Stopp für die Förderung von Effizienzhäusern, der dann aber glücklicherweise für Sanierungen wieder aufgehoben wurde, „kostenmäßig im Rahmen geblieben“, sagt er. Im November 2023 zog Dietz mit seiner eigenen Praxis in die neuen Räumlichkeiten um, im Januar 2024 kam der 72-jährige Kollege Meier mit seinen zwei Medizinischen Fachangestellten dazu. Dietz berichtet: „Ich bin Dr. Meier sehr dankbar, dass er bereit war, nach 36 Jahren als Selbstständiger nun bei mir als Angestellter zu arbeiten. Aktuell ist er 30 Stunden pro Woche in der Praxis. Er hatte eine klare Exit-Option, hätte auch einfach aufhören können. Vielleicht fiel ihm der Schritt leichter – er ist ja zu nichts gezwungen.“ Tatsächlich denkt Meier noch lange nicht ans Aufhören, eine Altersgrenze hat er sich in all den Jahren nie gesetzt. Er freut sich, dass er in der neuen Praxis nahtlos an seine bisherige Tätigkeit anknüpfen konnte – der Bürokratie, um die sich nun andere kümmern müssen, weint er allerdings keine Träne hinterher. Auch Dietz ist zufrieden mit der neuen Situation: „Zwischenmenschlich klappt es super zwischen uns beiden.“
Nicht ganz glücklich ist der Praxischef hingegen mit der Zusammenführung der Arztinformationssysteme (AIS) der beiden Praxen: „Wir hatten beide bis zum letzten Update die identische Praxissoftware eines Software-Hauses aus der Gruppe eines der größten AIS-Anbieters in Deutschland. Deshalb hatte ich an dieser Stelle überhaupt kein Problem erwartet, als wir die Datenbestände unserer beiden Praxen datenschutzsicher zusammenführen wollten“, sagt Dietz. Doch es zeigte sich, dass es weder ein feststehendes Konzept des Anbieters für solche Fälle, noch vorgefertigte Lösungen oder Formulare gibt, um die Zusammenführung zu realisieren. „Ich musste sogar regelrecht darum kämpfen, dass der Anbieter sich überhaupt einmal kümmert. Die haben mich einfach hängenlassen“, ärgert sich Dietz. Bis heute könne Meier nicht auf alte Arztbriefe und Medikationspläne seiner Patientinnen und Patienten zugreifen, die er mit seinem damaligen Heilberufe- und Praxisausweis verschlüsselt hatte. „Alles funktioniert nur mit Workarounds, das hat meinen Kollegen doch sehr frustriert – und mir hat es leidgetan, denn ich möchte ja, dass Dr. Meier sich im neuen Praxiskonstrukt wohlfühlt.“
Attraktives Arbeitsumfeld schaffen
Gleichzeitig betont Dietz, dass die IT-Fusion das Einzige war, das nicht so funktioniert hat, wie er es sich ursprünglich vorgestellt hatte. In seinem neuen Zentrum Hausärzte Külsheim arbeiten neben ihm als Praxisinhaber und Meier noch zwei weitere Fachärztinnen für Allgemeinmedizin und ein nun hausärztlich tätiger Facharzt für Innere Medizin und Hämatologie/Onkologie. Auch eine Ärztin in Weiterbildung ist seit einigen Monaten mit an Bord. Es war von Anfang an Teil des Konzepts, eine Praxis zu gestalten, die auch für Medizinstudierende oder junge Kollegen attraktiv ist, erklärt der Praxisinhaber: „Meine Zielgruppe – sprich der ärztliche Nachwuchs – soll wissen, dass sie gute Arbeitsbedingungen bei mir vorfindet, wo die Angestellten ein Sprechzimmer haben, das genauso schön ist wie das des Praxisinhabers. Auch dass sie nebenan einen Kindergarten, einen Supermarkt oder auch Sportanlagen vorfinden, ist attraktiv für junge Ärztinnen und Ärzte.“ Das Konzept scheint jetzt schon aufzugehen: Zwei Studentinnen und ein junger Arzt haben sich bereits während der Projektphase an einer zukünftigen und auch langfristigen Mitarbeit interessiert gezeigt und werden innerhalb der nächsten ein bis zwei Jahre zunächst als Ärztinnen beziehungsweise Arzt in Weiterbildung für Allgemeinmedizin ihre Arbeit in der Praxis aufnehmen.
Sein Ziel ist es, mit dem hausärztlichen Zentrum eine Basis aufzubauen, damit die medizinische Versorgung in Külsheim langfristig gesichert ist. Doch auch er selbst legt Wert auf „menschliche Arbeitsbedingungen, die für mich mit einem guten Leben vereinbar sind“, betont Dietz. Noch sind nicht alle Abläufe eingespielt, sodass er sich erst in den Abendstunden um Praxisorganisation, Bürokratie und Kommunikation kümmern kann. „Doch sobald die Kolleginnen und Kollegen eingearbeitet sind, ist auch für mich Land in Sicht“, hofft Dietz.
Vorausschauendes Handeln als Grundvoraussetzung
Aus seiner Sicht kann sein Projekt auch in anderen Gemeinden als Blaupause für die Sicherung der hausärztlichen Versorgung dienen. Natürlich erfordere es großes persönliches Engagement, um ein solches Projekt auf die Beine zu stellen: „Ich habe vier Jahre neben der Arbeit meine ganze Zeit damit verbracht, das ist mir nicht in den Schoß gefallen.“ Die Tatsache, dass seine Ehefrau in der Praxis mitarbeitet, sei dabei von Vorteil gewesen: „Sie konnte auch mal eine Sprechstunde übernehmen, wenn ich auf der Baustelle vorbeischauen musste oder einen Termin bei der Bank hatte“, erzählt Dietz. Auch vorausschauendes Handeln hält er für eine wichtige Grundvoraussetzung: „Es dauert einfach lange, weil man viele Gespräche führen und die Finanzierung organisieren muss.“ Doch vor allem hält er es für entscheidend, dass alle Beteiligten an einem Strang ziehen, auch der Bürgermeister und die Kommune. „Wenn die Stadtverwaltung nicht mitzieht, klappt es auch nicht“, meint Dietz.
Der Külsheimer Bürgermeister jedenfalls steht voll und ganz hinter dem neuen hausärztlichen Zentrum. Mehr noch: Er behält auch alle jungen Leute im Auge, die den Ort verlassen, um Medizin zu studieren. „Wir schauen als Kommune, wer von ihnen hier gebunden werden kann.“ Von einer Medizinstudentin weiß er allerdings, dass sie nun einen Kommilitonen aus dem Allgäu kennen gelernt hat: „Dessen Vater hat eine Praxis im Allgäu, die wird also wohl abwandern“, bedauert Schreglmann. Doch er setzt auch Hoffnungen auf den Nachwuchs von Familie Dietz: „Ich gehe stark davon aus, dass es in dieser Ärztefamilie auch eine vierte Generation geben wird. Der Älteste ist bald mit der Schule fertig, seine Noten passen. Ich glaube, wir sind jetzt ganz gut aufgestellt.“
Antje Thiel