Teamkonflikte Teil 3: Was ist Cheffing?

15. August 2024

In Teil 1 und Teil 2 unserer Interviewserie über Teamkonflikte im Gesundheitswesen mit Gesundheitsökonomin und Cognitive-Coach Katrin Holzinger vom Dr. Holzinger Institut ging es um den sogenannten Zickenkrieg und um Unterstützung bei Konflikten durch Coaching. Im letzten Interview dieser dreiteiligen Serie dreht es sich um das Thema Cheffing. Dabei geht es um die Führung von unten, die sich durchaus auch positiv auf die Vorgesetzten auswirken kann, wie Holzinger im Gespräch erzählt.

MEDI: Sie veranstalten in Ihrem Institut regelmäßig das sogenannte Friday Night Coaching. Ist das eine Art Schnupperkurs?

Katrin Holzinger: Wir bieten in unserem Institut seit Jahren unter anderem Seminare für medizinisches Fachpersonal an. Ein großer Dauerbrenner ist das Thema „Schwierige Menschen“. Wir sagen: Resilienz allein reicht nicht aus. Das Friday Night Coaching veranstalten wir seit 2018, alle zwei Wochen. Wir suchen uns aktuelle Themen und es kann jede interessierte Person teilnehmen und sozusagen reinschnuppern.

MEDI: Finden die Veranstaltungen in einer Gruppe statt?

Katrin Holzinger: Ja. Wir beginnen mit einem Impulsvortrag. „Gedankenkarussell“ oder „Konflikte meistern“ sind zum Beispiel beliebte Themen. Danach gibt es ein Live-Coaching. Das öffentlich zu machen, ist für uns Coaches, in diesem Format für Dr. Daniel Holzinger, eine besondere Herausforderung. Wir wissen nie, wer zur Tür hereinkommt und wer welches Problem mitbringt. Das ist immer eine Überraschungssituation für uns. Würden wir als Coaches in eine falsche Emotionalität verfallen und befürchten, beispielsweise verbal angegriffen zu werden oder zu blamieren, würden wir gar nichts erreichen und könnten nicht helfen. Coach und der Coachee sitzen also auf dem „heißen Stuhl“, direkt vor dem Publikum. Der Coachee profitiert natürlich, weil sein Problem gelöst wird. Aber das Publikum erfährt auch jedes Mal eine hohe Identifikation und nimmt ebenfalls etwas für sich persönlich mit. Die Stimmung ist immer wieder beeindruckend. Durchschnittlich kommen circa 25 Personen. Es fragt niemand, aus welcher Branche jemand kommt. Die Gemeinsamkeit in der Menschlichkeit zu erkennen, ist ausschlaggebend und viel spannender. Ob Angestellte, Führungskräfte, Handwerker, Architekten oder Studenten, alle sitzen in einem Raum und es sind alles Menschen.

MEDI: Und Sie stellen zu Beginn Regeln auf.

Katrin Holzinger: Ja, wie bei jeder Arbeit stellen wir mit den Gruppen ganz klare Regeln auf. Macht man das nicht konsequent, kommt man nicht zum Ziel und wir möchten alle Beteiligten damit auch schützen. Regeln sind generell wichtig, damit Konflikte möglichst vermieden werden beziehungsweise der Umgang damit klar ist.

MEDI: Kam denn das Thema „Führen von unten“, das sogenannte Cheffing schon einmal vor?

Katrin Holzinger: Immer wieder wird es gerade in den Seminaren angesprochen.

MEDI: Tatsächlich?

Katrin Holzinger: Ja, ich finde es interessant, dass es jetzt diesen konkreten Begriff dafür gibt.  Wenn wir das ganz grob in ein Schubladenklischee packen würden und in eine klassische Arztpraxis schauen, könnte der Begriff damit schnell in Verbindung gebracht werden. Meistens gibt es eine starke MFA, die vorne den Laden schmeißt und den Arzt oder die Ärztin führt. Es geht also wieder um Rollenverteilung. Als junge Führungskraft habe ich das selbst erlebt, aber ich kannte das nicht anders. Hierarchien waren immer wichtig. Ich hatte viele autoritäre Führungskräfte und verknüpfte das eher mit Verantwortung. In Arztpraxen ist es ähnlich. Man muss sehen, dass die Mediziner einen langen Weg hinter sich haben. Viele Studienjahre, eine Doktorarbeit, eine Facharztprüfung und unzählige Fortbildungen. Das alles trug dazu bei, jetzt die fachliche und wirtschaftliche Verantwortung für die Niederlassung und deren Mitarbeitende zu übernehmen. Aber müssen Ärzte deswegen wirklich bis ins letzte Detail auch Praxismanager sein? Oder ist es hilfreich, Kompetenzen zu ergänzen und zu bündeln? Schiebt man die Hierarchie in den Vordergrund oder konzentriert man sich auf das übergeordnete Ziel einer Arztpraxis? Ich denke, man sollte Cheffing aus mindestens zwei Perspektiven sehen. Die erste Perspektive wäre Cheffing aus einer manipulativen Art und Weise zu betrachten. Die andere bessere Seite ist, zu erkennen wie man im Team Stärken am besten verbinden kann.

MEDI: Aus vielen Praxen höre ich, insbesondere von lebenserfahrenen MFA, die von ihren jüngeren Chefinnen oder Chefs sehr begeistert sind, weil – anders als früher – hierarchiefreier gearbeitet wird. Manche Teams pflegen sogar eine Duz-Kultur.

Katrin Holzinger: Lebenserfahrene Medizinische Fachangestellte sind sicher auch aufgrund ihrer Erfahrung eingestellt oder übernommen worden. Wenn jetzt ein junger Facharzt kommt, der fachlich fit ist, aber noch nie ein Unternehmen geleitet hat, noch nie Mitarbeitende führen oder Abrechnungen machen musste, kann er sich glücklich schätzen, wenn er jemanden hat, der sagt: „Kann ich Ihnen etwas abnehmen? Sie brauchen sich darum nicht zu kümmern und können sich auf mich verlassen.“

MEDI: Ja, so haben weder MFA noch Ärztinnen und Ärzte ein Problem damit. Ich bin mir gerade nicht sicher, ob man den Begriff Cheffing überhaupt in den Sprachgebrauch übernehmen sollte.

Katrin Holzinger: Diese Trendbegriffe interpretiert sowieso jeder anders. Cheffing kann man auch positiv bezeichnen, wenn die Beziehungsebene klar und deutlich ist. Es ist eine große Stärke von Führungskräften, selbstkritisch und selbstsicher zu kommunizieren, dass sie nicht alles wissen können. Das zeigt eine gewisse Nahbarkeit und differenziert Mensch und Sache. Das ist eine Stärke als zeitgemäße Führungskraft und ein wichtiger Impuls für eine gute Kultur der menschlichen Zusammenarbeit. Und es zeigt Wertschätzung der MFA gegenüber. Über Begrifflichkeiten sollte immer freundlich und bestimmt aufgeklärt werden. Das Wort ist nun mal in der Welt. Wir haben es selbst in der Hand, ob wir zum inflationären Gebrauch beitragen, ob wir es einfach nicht benutzen oder wie viel wir hineininterpretieren.

Für uns ist die ideale Führungskraft immer mutig und bereit, in den Konflikt zu gehen. Wie der Kapitän oder die Kapitänin auf dem Schiff. Egal welcher Sturm kommt, er oder sie bringt die Mannschaft da durch.

Dagmar Möbius

Social Media

Folgen Sie uns auf unseren Plattformen.

Aktuelle MEDI-Times

MEDI-Newsletter

Mit dem kostenfreien MEDI-Newsletter informieren wir Sie regelmäßig über aktuelle Themen und die neuesten Angebote. Bleiben Sie mit uns auf dem Laufenden!

Die Datenschutzerklärung habe ich zur Kenntnis genommen und bin damit einverstanden.*

Auf Facebook kommentieren!

„Diabetologische Leistungen sind im EBM nur unzureichend abgebildet“

Wachsende Patientenzahlen, steigende Anforderungen an die Therapie und fehlende Finanzierung im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) stellen diabetologische Schwerpunktpraxen (DSP) bundesweit vor große Herausforderungen. Wer sich in Baden-Württemberg dem MEDI-Diabetologievertrag angeschlossen hat, ist deutlich besser dran. Der Diabetologe Dr. Richard Daikeler erläutert die Stärken des Vertrags – und erklärt, warum er den Protest der Kolleginnen und Kollegen bundesweit unterstützt.

Neues Konzept zur ambulanten Weiterbildung: „Das ist eine Investition in die Zukunft“

Neues Konzept zur ambulanten Weiterbildung: „Das ist eine Investition in die Zukunft“

Mehr ambulante Angebote, weniger Fokus auf die Kliniken – wohin die Reise bei der Weiterbildung im Fach Allgemeinmedizin gehen soll, ist eigentlich klar. Doch der Weg dorthin gestaltet sich allzu oft holprig. Ein neues Konzept von Young MEDI unter der Federführung der Allgemeinmedizinerin Dr. Christine Blum und des Orthopäden Dr. Ferdinand Gasser soll das ändern und die ambulante Weiterbildung attraktiver und zugänglicher gestalten.

Elektronische Patientenakte: MEDI fordert deutliche Verschiebung für sicheren Start –Scharfe Kritik an intransparenter Kommunikation des BMG

MEDI Baden-Württemberg e. V. fordert eine deutlich längere Testphase für die elektronische Patientenakte (ePA) und das Bundesgesundheitsministerium (BMG) auf, den Start der ePA realistisch und transparent anzupassen. Die Bedenken der Anbieter der Praxisverwaltungssysteme (PVS) müssten ernst genommen werden. Die aktuelle Kommunikation des BMG zur Zeitplanung sorge für Verwirrung bei der niedergelassenen Ärzteschaft.