Facharztvertrag Orthopädie: “ Vertrag ist eine Win-win-Situation für alle Beteiligten“

In diesem Jahr feiert der MEDI-Facharztvertrag Orthopädie mit der AOK Baden-Württemberg und der Bosch BKK seinen zehnten Geburtstag. Der Orthopäde und stellvertretende Vorsitzende von MEDI Baden-Württemberg e. V., Dr. Bernhard Schuknecht, ist Teilnehmer der ersten Stunde. Er weiß vor allem zu schätzen, dass er sich im Rahmen des Vertrags mehr Zeit für seine Patientinnen und Patienten nehmen kann.

Etwa neun Minuten Sprechstundenzeit können sich Fachärztinnen und Fachärzte in Deutschland im Rahmen des Kollektivvertrags pro Patientin oder Patient nehmen. In dieser knapp bemessenen Zeit müssen sie sich ständig überlegen, wie ausführlich sie über die individuelle Beschwerden sprechen, welche körperlichen Untersuchungen sie durchführen und welche geeigneten Therapieoptionen sie erörtern können. Ziel der MEDI-Selektivverträge war es daher von Beginn an, Behandlungspfade und Honorare so zu gestalten, dass mehr Zeit für die individuelle und ganzheitliche Betreuung von Patientinnen und Patienten zur Verfügung steht. Seit zehn Jahren bereichert der MEDI-Facharztvertrag Orthopädie die Versorgungslandschaft. Mittlerweile nehmen aktuell 576 Fachärztinnen und Fachärzte für Orthopädie, Unfallchirurgie und Chirurgie daran teil, die im selben Zeitraum circa 135.000 Patientinnen und Patienten behandelten.

Mehr Zeit für das Gespräch mit all seinen Facetten

Als der Vertrag 2014 aus der Taufe gehoben wurde, galt die Stärkung der konservativen Orthopädie als wichtigstes Ziel. Man wollte weg von der “Fünf-Minuten-Spritzen-Medizin”, hin zu einer ganzheitlicheren Behandlung mit Fokus auf der sprechenden Medizin. Aus Sicht von Dr. Bernhard Schuknecht, der von Anfang an mit dabei war, hat man dieses Ziel definitiv erreicht: „Der Vertrag ist eine Win-win-Situation für alle Beteiligten. Durch die anders gelagerte medizinische Zielsetzung und die daraus resultierende andere Art der Vergütung haben wir in jedem Fall mehr Zeit für das Gespräch mit all seinen Facetten.“ Die körperlichen oder apparativen Untersuchungen unterscheiden sich zwar nicht fundamental von denen im Kollektivvertrag. „Die Patientinnen und Patienten sind ja nicht weniger oder anders krank“, meint Schuknecht. „Aber im Vertrag haben wir mehr Möglichkeiten, die Patientin oder den Patienten adäquat zu behandeln.“ Das fängt bereits bei der Terminvergabe an: „Für die Versicherten ist es ein großes Plus, dass wir uns verpflichten, zeitnahe Termine anzubieten. Das haben wir gleich zu Beginn bei den Vertragsverhandlungen in die Waagschale geworfen“, erinnert sich der Heidelberger Orthopäde.

Für Ärztinnen und Ärzte ist die Teilnahme vor allem durch das andere Vergütungsmodell attraktiv: „Arzt-Patienten-Kontakte werden im Vertrag einzeln vergütet, anders als im Kollektivvertrag mit seiner Ordinationsgebühr unter Budgetbedingungen“, erklärt Schuknecht. „Es geht also nicht zu unseren Lasten, wenn die Patientin oder der Patient uns mehrfach im Quartal aufsucht. Ohne eine attraktive Honorierung wäre das Interesse in der Ärzteschaft auch kaum so groß”, sagt Schuknecht. „Das ist der AOK durchaus bewusst, doch es ist ja auch wissenschaftlich nachgewiesen, dass durch die selektivvertragliche Versorgung viele Krankenhausaufenthalte eingespart werden. Die AOK evaluiert die Wirtschaftlichkeit der Verträge regelmäßig und kommt offenbar immer wieder zu einem positiven Gesamtergebnis“, so der Orthopäde.

Zielgerichtetes Trainings- und Therapieprogramm

Als weitere Pluspunkte des Orthopädievertrags nennt Schuknecht unter anderem rabattierte Arzneimittel, Osteoporose-Screening und flankierende therapeutische Maßnahmen, die den Versicherten angeboten werden. Hierzu zählen beispielsweise ein Rückenprogramm für Versicherte mit Erkrankungen wie Wirbelgelenksarthrose, für die beteiligte Ärztinnen und Ärzte ein zielgerichtetes Präventions-, Trainings- und Therapieprogramm in AOK-eigenen Einrichtungen verordnen können. „Diese Programme haben sich sehr gut entwickelt und etabliert“, berichtet Schuknecht. „Dabei gibt es seitens der AOK zwar hin und wieder Kapazitätsprobleme, das ist natürlich ein Wermutstropfen. Doch grundsätzlich ist diese Möglichkeit wirklich klasse, wenn man Patientinnen und Patienten ganzheitlich behandeln möchte.“

Auch wenn die Vorteile der Verknüpfung des Facharztvertrags mit dem AOK-Hausarztvertrag unbestritten sind, gibt es immer wieder Patientinnen und Patienten, die er nicht primär in den Orthopädievertrag einschreiben kann: „Die Versicherten müssen sich dann zunächst in der Hausarztpraxis in den Hausarztvertrag einschreiben. Die Teilnahme am Orthopädievertrag kann erst danach erfolgen. Nur vereinzelt gibt es Patientinnen und Patienten, die sich durch die selektivvertraglichen Versorgungssteuerung eingeengt fühlen und ihre Teilnahme nach einer Weile wieder kündigen“, erklärt Schuknecht. Insgesamt sei die Akzeptanz aber sehr hoch. Ähnliches gilt für seine Kolleginnen und Kollegen. Auch bei ihnen ist laut Schuknecht der Orthopädievertrag beliebt, was sich auch darin zeigt, dass die Fachgruppe Orthopädie knapp ein Viertel aller am Facharztvertrag teilnehmenden Ärztinnen und Ärzte ausmacht. „Doch es gibt natürlich in der Ärzteschaft Menschen, die man nicht überzeugen kann. Sie befürchten, sich der AOK auszuliefern oder mögen sich im therapeutischen Setting ungern festlegen“, erzählt der MEDI-Vizechef. Für ihn ist diese Skepsis nur schwer verständlich: „Man kann seine ärztliche Tätigkeit im Orthopädievertrag natürlich weiterhin nach bestem Wissen und Gewissen durchführen.“

Neue Aufgabenbereiche für MFA

Andere gelegentlich geäußerte Bedenken gelten den formalen Rahmenbedingungen: „Als Moderator eines Qualitätszirkels bekomme ich gelegentlich zu hören, dass die zwei verpflichtenden Qualitätszirkel pro Jahr zu viel Aufwand bedeuten – in meinen Augen ist das aber locker machbar.“ In den Anfangsjahren habe es auch noch viele Kolleginnen und Kollegen gegeben, die nicht firm im Umgang mit der erforderlichen Software waren, „wir nutzen im Orthopädievertrag ja ein begleitendes Facharzt-Modul“, erklärt Schuknecht. Die Zahl der EDV-Muffel ist zwar deutlich zurückgegangen, „doch manche fremdeln bis heute mit der notwendigen IT-Ausstattung. In diesem Punkt müssen ja auch ihre Medizinischen Fachangestellten fit sein. Wer hier personell nicht so gut aufgestellt ist, hat unter Umständen großen Respekt vor der Umstellung“, weiß der Orthopäde.

Wer sein Praxispersonal fit für die Facharztverträge und die damit verbundene EDV machen möchte, kann einzelne Medizinischen Fachangestellte (MFA) beim Institut für fachübergreifende Fortbildung und Versorgungsforschung der MEDI Verbünde e. V. (IFFM) zur Entlastenden Fachkraft in der Arztpraxis (EFA®) ausbilden lassen. Die Ausbildungsinhalte wurden in Zusammenarbeit mit der AOK und Bosch BKK sowie dem Berufsverband der Orthopäden erstellt. Laut IFFM-Geschäftsführer Philipp Reutter sind in das Curriculum die Erfahrungen von Ärztinnen und Ärzte sowie MFA eingeflossen. Ziel ist es, eine bessere Patientenversorgung zu ermöglichen, die Ärztin oder den Arzt zu entlasten und neue Aufgabenbereiche für die MFA oder EFA® zu erschließen. Auch in Schuknechts Praxis ist eine ausgebildete EFA® im Einsatz: „Die Ausbildung ist sinnvoll, denn man braucht eine MFA, die in Bezug auf die Facharztverträge weiß, wovon sie redet – insbesondere wenn sie von Patientinnen und Patienten darauf angesprochen wird“, erzählt er. „Eine EFA® kann die eingeschriebenen Patienten besser begleiten als eine MFA, die nicht so tief im Thema steckt.“ Um ihren Status zu erhalten, müssen ausgebildete EFA® einmal jährlich an einem Qualitätszirkel teilnehmen. „Dadurch können wir sicherstellen, dass die EFA® immer auf dem neuesten Stand und über alle Neuerungen auch im medizinischen Umfeld informiert ist“, erklärt Reutter, „und wir können die hohe Versorgungsqualität erhalten, die eine EFA® bietet.“

Selektivverträge bundesweit ausrollen

Die stetige Weiterentwicklung der Facharztverträge ist auch nach Auffassung von Schuknecht die entscheidende Stärke dieser Baden-Württemberg-spezifischen Versorgungsform. „Es finden permanent Zusammenkünfte zwischen MEDI, den beteiligten Krankenkassen und den Berufsverbänden statt, um die Verträge auch in Bezug auf Leistungen und Honorierung kontinuierlich anzupassen.“ Gleichzeitig ist es nach wie vor das Bestreben von MEDI, die erfolgreichen Selektivverträge auch bundesweit auszurollen. „Hierfür braucht es aber insbesondere an der Spitze der Krankenkassen Menschen, die neue Wege gehen und nicht nur mit dem vorhandenen System arbeiten wollen“, meint der Orthopäde. Er empfindet es als großes Glück, dass die Spitze der AOK Baden-Württemberg von Anfang an offen für die Ideen von MEDI-Gründer Dr. Werner Baumgärtner und dessen Nachfolger Dr. Norbert Smetak war und bis heute hinter den Verträgen steht. Auch an die „anfänglichen Anfeindungen“, erinnert sich Schuknecht, „dennoch haben wir schon im Jahre 2014 betont, dass Hausarztverträge nur zusammen mit Facharztverträgen erfolgreich funktionieren. Es geht ja um eine Vollversorgung und nicht nur einzelne Teilbereiche der medizinischen Versorgung.“

Sein Fazit nach zehn Jahren Orthopädievertrag: „Für mich persönlich ist das wirklich ein Meilenstein in der Versorgung und eine echte Alternative zum Kollektivertragssystem. Der Vertrag trägt zu einer besseren Versorgung bei – ohne unnötige Verschwendung von Ressourcen und mit deutlich mehr zeitlicher Zuwendung für Patientinnen und Patienten.“

 

Antje Thiel

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