Als männlicher Medizinischer Fachangestellter gehört Johannes Geprägs einer Minderheit an. Tatsächlich hatte er einst beruflich andere Pläne. Warum er sie nicht mehr verfolgt hat, wie es ihm als Mann in einem Frauenteam ergeht, womit er sich in seiner Freizeit beschäftigt und was er sich von der Politik wünscht – all das hat er MEDI erzählt.
Johannes Geprägs ist in einer Hausarztpraxis im baden-württembergischen Lauterbach tätig. Die Gemeinde mit rund 2.900 Einwohnern im Schwarzwald heißt tatsächlich wie der amtierende Bundesgesundheitsminister. Der Politik hat der 38-Jährige einiges zu sagen.
Berufswunsch im Praktikum geändert
Nach der Hauptschule wollte Johannes Geprägs „etwas mit Informatik“ machen. Doch ein Praktikum in der elterlichen allgemeinmedizinischen Praxis änderte seine Pläne. Bis 2007 absolvierte er seine Ausbildung als „Arzthelfer“, ab 2006 hieß es dann „Medizinischer Fachangestellter“. Direkt im Anschluss besuchte er die Abendschule. Vier Jahre lang, fünf Tage pro Woche ab 17 Uhr. Bis zum Abitur. Danach bewarb er sich acht Jahre um einen Medizinstudienplatz. Vergeblich.
Neustart vor zwei Jahren
„Ich bin jetzt seit 20 Jahren im Beruf und habe genug zu tun“, sagt er heute. 17 Jahre arbeitete er in der Praxis des Vaters. Im Familienbetrieb war auch seine Mutter als MFA beschäftigt. „Ich habe alles gemacht, was anfällt: Anmeldung, Blutabnahme, alles Technische, Verbandswechsel und so weiter“, sagt Johannes Geprägs. Als der Vater 2022 in den Ruhestand ging, wurde dessen Praxis mit einer anderen Praxis im Ort zusammengelegt. Das bedeutete einen Neustart für den Medizinischen Fachangestellten in einer Hausarztpraxis mit einem jungen Arztehepaar. „Unsere Verantwortung ist sehr groß.“ Seine fünf Kolleginnen schätzen es, einen Mann im Team zu haben. „Ich bringe Ruhe rein“, lacht er. Auch Patientinnen und Patienten freuen sich, ihn zu sehen. Manche sind überrascht. Respektlos hat sich noch niemand ihm gegenüber verhalten.
Nur 5 % der bundesweit 16.917 neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge zu MFA im Jahr 2023 wurden von männlichen Bewerbern geschlossen. Somit stehen 845 männlichen angehenden MFA 16.072 weibliche gegenüber. Bei Zahnmedizinischen Fachangestellten (ZFA) ist die Männerquote mit 4,1 Prozent zu 95,9 Prozent noch niedriger.
Quelle: BIBB
Männliche VERAH mit Technikfaible
Schon in seiner Ausbildung war Johannes Geprägs der einzige Mann. Jetzt sei das kein Thema mehr. „Wenn man sich mit Frauen einigermaßen gut anstellt, hat man es gut“, schmunzelt der Lauterbacher. „Es ist, als ob wir schon immer miteinander arbeiten.“ Er übt die gleichen berufstypischen Tätigkeiten aus wie seine Kolleginnen – von der Anmeldung über Gespräche, das Assistieren bei Eingriffen bis zum Verbandswechsel. Die Arbeit macht ihm Spaß. Vor fünf Jahren hat er eine Zusatzausbildung zum Versorgungsassistenten in der Hausarztpraxis (VERAH) abgeschlossen. Eine Spezialaufgabe hat er in der Praxis allerdings: E-Rezept und Telematik. „Ich habe Ahnung davon“, sagt er und ist seinem ursprünglichen Informatik-Berufswunsch heute täglich sehr nah.
Aufwändige Technik spart Papier, aber keine Zeit
Das E-Rezept wurde in seiner Praxis probeweise bereits im November 2023 eingeführt: „Ich bin sehr froh darüber, dass wir nicht wie viele andere Praxen im Januar 2024 ins kalte Wasser springen mussten.“ Der Erfahrungsvorlauf ersparte dem Team aber auch nicht, dass die Technik noch ihre Tücken hat. „Der ganze Prozess ist mittlerweile so aufwändig, dass sehr viel Arbeitszeit verloren geht“, kritisiert er und beschreibt: „Früher wurden auf einem Rezept bis zu drei Medikamente verordnet. Heute muss für jedes Medikament erst ein Passwort und dann ein Pin eingegeben werden. Wir warten jedes Mal drei bis zehn Sekunden bis das Rezept signiert ist. Die Patienten sehen den Aufwand nicht. Wenn etwas nicht funktioniert, steht der Patient in der Apotheke und das Rezept fehlt auf der Versichertenkarte oder auf dem Server. Dann muss die Apotheke anrufen.“ Das ist ein Grund, warum in seiner Hausarztpraxis Rezeptwünsche über die Website angefordert werden sollen und können.
Nicht zu Ende gedacht
„Die Basis wird nie gefragt, egal welcher Gesundheitsminister amtiert“, stellt Johannes Geprägs fest. „Zwei Schritte, die man in einem Schritt erledigen könnte, wären toll, auch wenn Datenschutz natürlich nötig ist.“ Dass Heil- und Hilfsmittelverordnungen sowie grüne Rezepte und Privatrezepte beim E-Rezept nicht berücksichtigt sind, empfindet nicht nur er als „nur halb durchdacht“.
Zudem sind die Neuerungen für die ältere Generation schwierig. Nicht nur, weil vieles aus Patientensicht nicht mehr direkt nachvollziehbar ist. Sind die erhaltenen Medikamente die richtigen? Ist die Packungsgröße die verordnete? Wurden Generika ausgehändigt? Hier geben Johannes Geprägs und seine Kolleginnen einen Tipp: „Nehmen Sie den Abschnitt der alten Packung mit in die Apotheke und vergleichen Sie!“ An die geplante Einführung der ePA will er noch gar nicht denken. „Keine Ahnung, was auf uns zukommt.“
Gehalt ist nicht alles
„Ich bin froh, in der Allgemeinmedizin zu sein“, sagt Johannes Geprägs. Die Arbeit am Menschen vom fünf Wochen alten Säugling bis zum 100-jährigen Greis und die fachliche Vielfalt inklusive Notfalleinsätze begeistern ihn. Auch wenn der Druck und die Verantwortung im ambulanten Sektor immer mehr zunehmen und in anderen Branchen mehr verdient wird. „Müsste ich eine Familie ernähren, ginge es nicht, in der Stadt sowieso nicht“, sagt er. Seine Frau verdient als Produktdesignerin einige Hundert Euro monatlich mehr als er – plus Zulagen und Prämien. Der MFA weiß, dass die Budgetierung allen niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten Grenzen aufzwingt. Er sagt: „Gehalt ist nicht das Einzige.“ Von seinen jungen Chefs fühlt er sich auf Augenhöhe behandelt und wertgeschätzt.
Ehrenamt und Wünsche an die Politik
„Klar jammert man manchmal“ sagt Johannes Geprägs, „aber wenn man Patienten mit Krebs sieht, ist alles relativ. Nach stressigen Tagen empfiehlt er, mit Kolleginnen zu sprechen. Er selbst spielt in seiner Freizeit Posaune und engagiert sich im Vorstand des örtlichen Musikvereins. Der 38-Jährige wirkt ausgeglichen und zufrieden. Einen Wunsch an die Politik hat er aber: „Die Politik soll nicht nur Gesetze in Berlin erlassen, sondern mit uns reden und fragen, ob etwas überhaupt möglich ist.“ Den politischen Fokus verortet er seit Längerem weitab der niedergelassenen Versorgung. Beim letzten Streik der Praxen in Stuttgart konnte er wegen seines Karnevalsauftritts nicht dabei sein. Doch er sagt: „Medizinische Fachangestellte sind am längeren Hebel.“ Er äußert seine Meinung öffentlich, unter anderem auf Social Media. Sollte der amtierende Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach einmal den gleichnamigen Ort im Schwarzwald besuchen, würde ihm Johannes Geprägs gern direkt alle Hindernisse aus Sicht eines in der hausärztlichen Versorgung tätigen MFA im ländlichen Raum erklären.
Dagmar Möbius