Die Gynäkologin Dr. Christiane von Holst gehört als Regionalbeisitzerin für Nordbaden dem Vorstand von MEDI Baden-Württemberg e. V. an. Sie meint: Es gibt nicht mehr genug personelle Ressourcen, um die hohe Anspruchshaltung von Patientinnen und Patienten rund um die Uhr zu bedienen.
Dass sie einmal Ärztin werden möchte, war Dr. Christiane von Holst bereits während ihrer Schulzeit klar. „Ich kann gar nicht beschreiben, woher das kam. Ich wusste es einfach.“ Im Laufe ihres Studiums zog sie etliche Fachrichtungen in Erwägung, Dermatologie oder Pädiatrie zum Beispiel. „Aber dann begann ich eine Famulatur in der Gynäkologie an einer Frankfurter Klinik – in erster Linie deshalb, weil das Krankenhaus in Fahrradnähe lag.“ Die für die Frauenheilkunde typische Mischung aus Vorsorge bei gesunden Frauen, Begleitung schwerkranker onkologischer Patientinnen und Geburtshilfe zog sie schnell in ihren Bann. „Eine so bunte Mischung hat kein anderes Fach zu bieten“, meint sie und betont: „Es ist mit viel Dankbarkeit verbunden, wenn man eine Schwangerschaft begleitet und dabei sein darf, wenn ein neues Leben beginnt. Ich mache das jeden Tag mit Freude!“
Die Liebe zu ihrer Arbeit und ihrem Fach macht von Holst allerdings nicht blind für die Schattenseiten des ärztlichen Daseins. „Das ging schon im PJ los. Es fällt mir schwer, Ungerechtigkeit einfach hinzunehmen. Und so hatte ich rasch das Amt der PJ-Sprecherin“, erinnert sie sich. Während der fachärztlichen Weiterbildung waren es die zehn bis elf Nachtdienste im Monat, die ihr an die Substanz gingen und sie unzufrieden machten. „In dieser Phase war ich zwar eher passiv. Aber das lag vor allem daran, dass mir immer klar war, dass ich nicht in der Klinik bleiben, sondern mich gern niederlassen möchte. Also hielt ich durch“, erzählt sie.
Es fehlt an Freiheit in der Niederlassung
Vor nunmehr 14 Jahren startete sie ihre vertragsärztliche Tätigkeit in ihrer gynäkologischen Einzelpraxis in Heidelberg. „Man ist ja durch Studium und Weiterbildung überhaupt nicht darauf vorbereitet und muss sich mit enorm vielen Dingen beschäftigen, die man nicht kennt. Und da gab es durchaus viele Punkte, die ich kritisch hinterfragt habe.“ Vor allem ärgerte sich die Gynäkologin darüber, dass die Freiheit, die sie gedanklich mit der Niederlassung verknüpft hatte, längst nicht mehr gegeben war: „Es kamen immer mehr Vorschriften – und zwar immer gepaart mit direkten Drohungen, dass einem im Zweifel die Zulassung entzogen werden kann.“
Hinzu kam der Kampf mit der schlecht organisierten Digitalisierung, überbordender Bürokratie sowie übergriffigen und zeitfressenden Anfragen von Krankenkassen. „Und allen voran die schwindende Wertschätzung für unsere Arbeit“, betont von Holst. Doch für sie ist klar: „Ich kann meinen Ärger entweder in mich hineinfressen oder ihm eine Stimme geben!“ Die Frauenärztin entschied sich für die zweite Option und fand rasch bei MEDI ihre politische Heimat.
„Mich fasziniert die Idee, dass fachübergreifend alle zusammensitzen und sich austauschen, ohne dass es nur um die Vorteile der eigenen Fachrichtung geht“, erklärt sie, „genau deshalb hat MEDI auch so viel Schlagkraft entwickelt. Am Ende solcher Gespräche und Sitzungen kommt eigentlich immer eine gute Idee heraus.“ Als ein Beispiel für positive Ergebnisse der fachübergreifenden Zusammenarbeit nennt von Holst, die seit mittlerweile fünf Jahren dem Vorstand angehört, die MEDI-Facharztverträge. „Wir Gynäkologen hätten auch gern einen solchen Selektivvertrag, den würde ich meiner Fachgruppe auch wünschen.“ Doch momentan gibt es in ihren Augen so viele andere brisante Themen, „dass wir erst einmal darum kämpfen müssen, dass es in Zukunft überhaupt noch Praxen gibt.“
Blick in die Tageszeitung treibt den Blutdruck nach oben
Aktuell engagiert sich die Ärztin daher in der MEDI-Protestgruppe: „Da geht es um die tagesaktuelle Politik. Man muss derzeit ja nur die Tageszeitung aufschlagen und der Blutdruck steigt! Uns wird leider immer unterstellt, es gehe uns nur ums Geld – dabei geht es doch um die Versorgung, die nun einmal Geld kostest.“ Eine bessere Bezahlung ärztlicher Leistungen und nicht zuletzt der steigenden Betriebskosten ist die eine Seite der Forderungen: „Wir haben ja – genau wie andere Branchen auch – mit Inflation, hohen Personalkosten und Strompreisen zu kämpfen.“
Doch gleichzeitig ist von Holst überzeugt, dass auch an einer weiteren Stellschraube gedreht werden müsste: „Wir brauchen Patientensteuerung. Denn viele Menschen kommen mit einer ungeheuren Anspruchshaltung in die Arztpraxen, die so nicht mehr zu erfüllen ist.“ Für eine solche ungesteuerte Versorgung gibt es längst nicht mehr genug ärztliches und anderes medizinisches Personal. Ähnlich wie die Notambulanzen der Kliniken müssen sich auch vertragsärztliche Praxen mit vielen Patientinnen und Patienten beschäftigen, die im Grunde keiner oder zumindest keiner dringlichen ärztlichen Behandlung bedürfen.
Google-Diagnosen verunsichern viele Menschen
„Ich habe eine Notfallsprechstunde in meiner Praxis, doch 95 Prozent der Fälle brauchen gar keine dringliche Behandlung“, erzählt von Holst. Sie beobachtet, dass viele Menschen durch die Medien stark verunsichert sind: „Sie googeln ihre Symptome und erhalten dann viele potenziell beängstigende Diagnosen.“ In Kliniken werde diesen Patientinnen dann nicht selten geraten, mit ihren Beschwerden zu ihrem Frauenarzt zu gehen. Doch auch die haben natürlich nicht immer sofort für sie Zeit. „Unser System gibt eine 24/7 Versorgung bei Lappalien einfach nicht mehr her. Wir schrecken die jungen Kolleginnen und Kollegen mit unseren Arbeitsbedingungen ab“, meint die Ärztin.
Dennoch lässt sich von Holst von den aktuellen Rahmenbedingungen nicht entmutigen. Zuversicht schöpft sie zum einen aus ihrer eigenen Tätigkeit: „Meine Fachrichtung ist ja schön, die kann nichts dafür, dass die Lage so ist, wie sie ist.“ Doch auch das berufspolitische Engagement gibt ihr Kraft – auch wenn sie manchmal damit hadert, dass nur so wenige ihrer Kolleginnen und Kollegen ebenfalls motiviert sind, sich einzubringen: „Wir Ärztinnen und Ärzte haben eine seltsame Mentalität. Ohne ein gewisses Helfersyndrom würden wir den Job kaum machen. Doch dieses Gefühl von Fürsorge für die Patientinnen und Patienten ist ein inneres Gefühl, für das viele weit über ihre Grenzen hinausgehen“, glaubt sie. „Sie fühlen sich ausgebrannt und denken, dass es irgendwie doch noch gehen wird.“ Dass ihre Kolleginnen und Kollegen neben dem stressigen Praxisalltag und den Fortbildungen keine Energie mehr finden, sich politisch zu engagieren, findet von Holst einerseits nachvollziehbar: „Man hat ja auch noch ein Leben neben alledem. Aber ich persönlich empfinde die Berufspolitik gar nicht als Belastung – im Gegenteil, sie macht mir Freude, denn ich werde verstanden und gehört, außerdem treffe ich dort Leute, die ähnlich denken und ticken wie ich.“
Mit bloßen Händen in der Erde wühlen
Doch natürlich gibt es auch für die Heidelberger Gynäkologin Zeiten, in denen sie weder Ärztin noch MEDI-Aktivistin sein mag: „Ich bin eine wahnsinnige Leseratte und lese immer gern mehrere Bücher parallel“, erzählt sie. Je nach Stimmung greift sie an einem Tag zu anspruchsvoller Literatur und an einem anderen zu einem Krimi. Seit ihre beiden Kinder aus dem Haus sind, genießt sie es, wieder häufiger mit ihrem Mann ins Theater zu gehen und mit Freunden auszugehen. Auch Sport kommt als Ausgleich nicht zu kurz bei von Holst: Hier kann sie sich für Laufen, Skifahren und Schwimmen begeistern. Doch ebenso gern verbringt sie Zeit zu Hause und widmet sich ihrem kleinen Garten: „Es ist ein kleiner bunter Bauerngarten mit alten Rosen und Buchsbaumhecken. Ich baue darin zwar kein Gemüse an, aber ich liebe es, die Hände in die Erde zu stecken und noch einmal ganz andere Dinge zum Wachsen zu bringen.“
Antje Thiel