„Ich hatte nach der Praxisübernahme schlaflose Nächte“

4. Januar 2024

 

Dr. Stefan Reschke ist Facharzt für Allgemeinmedizin, Notfallmedizin und Flugmedizin mit eigener Praxis in Walldorf. Der 40-Jährige hat im vergangenen Sommer eine Praxis übernommen und beschäftigt mittlerweile drei angestellte Ärztinnen und Ärzte und eine Weiterbildungsassistentin. Seit rund zwei Jahren ist er MEDI-Mitglied und engagiert sich für das Nachwuchsprogramm Young MEDI. Im Interview erzählt der junge Familienvater, was die junge Ärzteschaft aktuell beschäftigt, was er von der Politik erwartet und wie wichtig Mentorinnen und Mentoren für frisch Niedergelassene sind.

MEDI: Seit wann sind Sie bei MEDI?

Reschke: Ich bin vor rund zwei Jahren dazugestoßen. Ich wurde über den stellvertretenden Vorsitzenden Michael Eckstein an Young MEDI herangeführt. Ich bin ihm sehr dankbar, weil er mich an die Hand genommen und mich in die Berufspolitik eingeführt hat. Er ist so etwas wie ein Mentor für mich. Das ist für uns frisch niedergelassene Ärztinnen und Ärzte ganz wichtig, einen erfahrenen Kollegen an der Seite zu haben. Im Frühjahr war ich bei der Delegiertenversammlung im Schwarzwald mit dabei, das war sehr interessant für mich. Ich engagiere mich bereits politisch auch im Gemeinderat und in der FDP.

MEDI: Was sind aktuell die drängenden Fragen der jungen Ärzteschaft?

Reschke: Die große Frage ist: Wie geht es weiter, was passiert mit der ambulanten Versorgung? Wir haben so viele drängende Fragen. Wie werden künftig unsere Strukturen aussehen, wie kriegen wir die überbordende Bürokratie in den Griff? Wir haben einen riesigen Aufwand, gutes Personal zu finden und wirtschaftlich zu arbeiten. Ich hatte nach der Praxisübernahme schlaflose Nächte. Kann ich das alles schaffen, reichen die Finanzen? All das ging mir durch den Kopf. Plötzlich hat man als Praxisinhaber Verantwortung für mehrere Familien und hat finanzielle Angst, auch vor Regressen.

MEDI: Was muss passieren, damit sich die Lage entspannt?

Reschke: Aus meiner Sicht ist Patientensteuerung ein ganz wichtiger Punkt. Die Patientenströme werden immer mehr. Wir müssen dafür sorgen, dass Patientinnen und Patienten nicht für jede Kleinigkeit in die Arztpraxis kommen und wertvolle Sprechstundenzeiten für dringendere medizinische Fälle blockieren. Die Krankenversicherung ist ja mittlerweile wie eine Vollkaskoversicherung, die jeden Gang zum Arzt legitimiert.

MEDI: Deutschland belegt einen Spitzenplatz bei den Arztkontakten, die Arztbesuche haben sich in den vergangenen 30 Jahre nahezu verdoppelt. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Reschke: Ich glaube, die Menschen haben zunehmend Probleme, Eigenverantwortung zu übernehmen. Sie brauchen jemanden, der sie an die Hand nimmt, ihn die Verantwortung abnimmt. Da hat sich in den vergangenen Jahren das Verständnis geändert. Heute brauchen viele einen Life-Coach, bei gesundheitlichen Fragestellungen geht man zum Arzt. Viele Patienten denken, wenn sie schon so viel in die Krankenkasse einzahlen, dann wollen sie auch ein Rundum-Sorglospaket dafür erhalten. Aber ich beobachte auch, dass die Mentalität der Leute lokal ganz unterschiedlich ist. Je dörflicher die Umgebung ist, desto weniger gehen die Menschen zum Arzt.

MEDI: Was erwarten Sie von der Politik?

Reschke: Wir werden von der Politik oft so hingestellt, als ob wir nur mehr Geld verdienen wollen. Das ist nicht unser Hauptproblem. Wir haben Angst vor der Unberechenbarkeit, vor Kürzungen bei den KV-Honorierungen oder vor Regressen. All das haben wir nicht in der Hand. Wir Hausärzte sind in Baden- Württemberg zum Glück aktuell nicht „gedeckelt“. Aber die Fachärzte haben ihre Quartalsbudgets und wenn die ausgeschöpft sind, arbeiten sie umsonst weiter. Ich wünsche mir als Arzt, dass ich all meine Leistungen auch bezahlt bekomme. Geld bedeutet auch Wertschätzung und Anreiz. Ich möchte auch meine Angestellten und MFA so bezahlen, wie es ihre Arbeit wert ist. 3.000 Euro brutto für eine MFA ist einfach zu wenig. Ich habe in meiner Praxis größtenteils die Vier-Tage-Woche bei vollem Gehalt eingeführt, damit ich wenigstens mit Freizeit den Lohn ausgleichen kann. Das ist mein Anreiz für die angestellten Ärzte und MFA. Von der Politik wünsche ich mir mehr ehrlich gemeinte Wertschätzung für das gesamte Gesundheitswesen – monetäre Wertschätzung, aber auch emotionale. Ich wünsche mir, dass wir ernst genommen werden. Dass die MFA in der Pandemie keinen Coronabonus bekommen haben, zeigt deutlich, welche Rolle die ambulante Versorgung in der Politik spielt.

MEDI: Viele junge Medizinerinnen und Mediziner lassen sich nicht mehr nieder. Sie haben es dennoch gemacht, warum?

Reschke: Für mich war es von Anfang an klar, dass ich mein eigener Chef sein wollte. Das ist die andere Seite der Medaille: Ich bin flexibler, auch mit Familie und Kindern. Ich muss niemanden um Erlaubnis bitten, wenn ich mal freie Tage brauche. Außerdem kann ich als Inhaber meine eigenen Ideen umsetzen. Ich habe beispielsweise in meiner Praxis fast alles komplett digitalisiert. Ich habe wahrscheinlich mit eine der modernsten Praxen bundesweit. Wir arbeiten fast papierlos. Aber das ganze Praxismanagement ist auch sehr viel Arbeit. Ich habe neulich eine Weiterbildungsassistentin eingestellt – das ist ein unglaublich bürokratischer Aufwand. Ich sitze häufig abends noch mit dem Notebook zuhause.

MEDI: Verstehen Sie die Kolleginnen und Kollegen, die sich gegen eine Niederlassung entscheiden?

Reschke: Absolut. Ich merke selbst, dass es gar kein Problem ist, Kollegen für eine Anstellung zu finden. Das liegt auch an der Feminisierung der Medizin. Wir haben keinen Ärztemangel, im Gegenteil. Wir haben immer mehr Frauen, die nicht alle hundert Prozent arbeiten und sich niederlassen wollen. Auch bei den Männern ist das immer mehr der Fall. Und das meine ich nicht negativ. Ich selbst möchte auch genug Zeit für meine Familie und mich haben – gerade bei diesem verantwortungsvollen Job und der damit verbundenen Arbeitsbelastung. Auf der anderen Seite haben wir aber viel mehr Patientinnen und Patienten als die Kliniken.

MEDI: Was wollen Sie mit Ihrem Engagement für Young MEDI bewirken, was sind Ihre Themen?

Reschke: Young MEDI ist ein Paradebeispiel dafür, wie wichtig es ist, berufspolitisch aber auch als frisch niedergelassener Arzt, an die Hand genommen zu werden. Ich habe das selbst erlebt. Wir sind die Next Generation, die die ambulante Versorgung weiterführt. Wir brauchen auch künftig weiterhin gute berufspolitische Vertreter. Es wäre schön, wenn sich noch mehr Kolleginnen und Kollegen bei Young MEDI engagieren. Aber nicht nur der berufspolitische, auch der fachliche, pragmatische Austausch unter den Ärztinnen und Ärztinnen ist total wichtig. Das Gute ist ja, dass MEDI fachübergreifend ausgerichtet ist. Da ist es wertvoll, wenn man sich mal schnell mit einem Facharztkollegen zu einem Patienten austauschen kann oder auch auf dem kurzen Dienstweg einen Termin für den Patienten bekommt.

Tanja Reiners

 

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