Am vergangenen Dienstag hat das Bundessozialgericht (BSG) entschieden, dass sogenannte Poolärztinnen und -ärzte im ärztlichen Bereitschaftsdienst sozialversicherungspflichtig sind. Aufgrund dieses Urteils hat die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) die Tätigkeit der rund 3.000 Poolärztinnen und -ärzte mit sofortiger Wirkung beendet. Der fachübergreifende Ärzteverband MEDI Baden-Württemberg e. V. kritisiert das Urteil des BSG scharf und fordert die Politik auf, schnell zu handeln. „Diese Entscheidung bedeutet sonst große Einschnitte für die Patientinnen und Patienten in der medizinischen Versorgung“, warnt der MEDI-Vorsitzende und praktizierende Kardiologe Dr. Norbert Smetak.
Zum Hintergrund: Die Poolärztinnen und -ärzte übernahmen bislang in Baden-Württemberg auf selbstständiger Basis einen großen Anteil des ärztlichen Bereitschaftsdienst für die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg. In Stuttgart wurden die Notfall- und Bereitschaftsdienste laut KVBW zu rund 80 Prozent von den selbstständigen Poolärztinnen und -ärzten übernommen, in anderen Regionen seien es durchschnittlich rund 40 Prozent.
„Durch die neue Regelung werden künftig die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte die Notdienste parallel stemmen müssen. Das bedeutet konkret: reduzierte Notdienstzeiten, weniger Sprechzeiten in der Regelversorgung und ein weiterer Ansturm auf die Notaufnahmen der Krankenhäuser“, betont Smetak. MEDI fordert die Politik und explizit das Bundesministerium für Arbeit und Soziales auf, die Gesetzeslage für die Poolärztinnen und -ärzte im ärztlichen Bereitschaftsdienst sachgerecht anzupassen. „Sogar die Impfärztinnen und -ärzte in den Impfzentren wurden während der Coronapandemie von der Sozialversicherungspflicht befreit, auch die Notärzte im Rettungsdienst sind zum Teil nicht sozialversicherungspflichtig“, sagt Smetak.
Laut Ärzteverband müssten durch die neue Regelung sonst ab sofort auch deutlich weniger qualifizierte Facharztgruppen, wie beispielsweise ärztliche Psychotherapeutinnen und -therapeuten, Radiologinnen und Radiologen oder Augenärztinnen und -ärzte Notdienste übernehmen. Das würde die Notfallversorgung qualitativ schwächen.
„Wir kämpfen schon jetzt mit einem massiven Ärzte- und Fachkräftemangel beim medizinischen Personal. Das spüren Patientinnen und Patienten bereits deutlich durch lange Wartzeiten auf Arzttermine oder sogar fehlende Hausärztinnen und -ärzte vor Ort. Diese neue Regelung wird die medizinische Versorgung spürbar an ihre Grenzen bringen“, so Smetak. Gemeinsame Gespräche mit der KVBW im Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Vorfeld hätten zu keinen Ergebnissen geführt.
„Das Notdienstsystem hat sehr gut funktioniert. Es ist völlig unverständlich, dass einem bewährten System, durch die Einführung der Sozialversicherungspflicht, jetzt der Kollaps droht. In Stuttgart müssen wir rund 80 Prozent der Notdienste neu organisieren. Das ist aufgrund der per se schwierigen Lage der ambulanten Versorgung kaum möglich. Hier droht der Organisationskollaps, obwohl die Dienstplankoordinatorinnen in Tag- und Nachtarbeit und weit über ihre Belastungsgrenzen hinaus versuchen, ein Ersatzsystem zu installieren, um ein komplettes Chaos zu verhindern“, sagt Dr. Michael Oertel. Er ist Facharzt für Allgemeinmedizin und koordiniert als Vorstand der Geschäftsstelle Notfallpraxis Stuttgart e. V. seit über 20 Jahren die Notdienste in der Landeshauptstadt.
Tanja Reiners