Das Telefon klingelt nonstop, der Patient verwickelt einen in nervige Diskussionen und die Chefin wartet auf schnelle Unterstützung. Das Stresslevel von Medizinischen Fachangestellten ist besonders hoch – das zeigen auch aktuelle Studien. Die Pandemie hat die Situation in vielen Praxen noch mal verschärft. MEDI hat drei erfahrene MFA befragt, wie sie bei Hektik in der Praxis Ruhe bewahren und nach der Arbeit am besten abschalten können.
Iris Bernkopf ist Praxismanagerin, Kardio-EFA® und Entlastungsassistentin in einer kardiologischen Praxis in Kirchheim unter Teck und arbeitet seit 22 Jahren als MFA. Für sie hat Stress auch seine guten Seiten: „Ich brauche den Stress, er bringt mich in einen Flow. Für mich wäre es schlimmer, wenn ich mich langweilen würde und die Zeit nicht vorbeigeht“, sagt die 41-Jährige. Aber auch sie kennt Situationen, in denen sie an ihre Grenzen gerät. „Wichtig ist, dass man eins nach dem anderen macht, nicht versucht alles auf einmal zu schaffen“, rät sie.
Gemeinsam stark
Außerdem zahlen sich ein gut eingespieltes Team und reibungslose Abläufe in der Praxisorganisation gerade in hektischen Phasen aus. „Alles steht und fällt mit einem funktionierenden Team. Wenn einer von uns sehr gestresst ist, merken die anderen das sofort und greifen der Kollegin unter die Arme. Wir kennen uns einfach alle sehr gut, wissen wie die anderen ticken“, sagt Bernkopf. Die guten Beziehungen werden auch gepflegt mit regelmäßigen gemeinsamen Unternehmungen nach Feierabend. Bei schwierigen Patientinnen oder Patienten rät Bernkopf dazu, sich rauszuziehen und jemanden einzusetzen, der besser mit dieser Person zurechtkommt. Und wenn es auch ihr mal alles zu viel ist? „Dann gehe ich zu meinem Chef und lasse alles raus. Der weiß genau, wie er mich wieder runterbringen und beruhigen kann“, erzählt die MFA und lacht.
Langfristigen Stress vermeiden
Elke Hecht ist Praxismanagerin in einem MVZ in Stuttgart. Durch die Pandemie war die Corona-Schwerpunktpraxis von zunehmendem Arbeitsaufkommen besonders betroffen. Ihre 34-jährige Erfahrung als MFA zeigt ihr, dass man langfristigen Stress unbedingt vermeiden sollte. Für sie ist es ganz wichtig, abzuschalten und zu entspannen, sobald sie die Praxis verlässt. Mit dem nötigen Abstand ist man auch weniger stressanfällig.
„Nach einem anstrengenden Tag falle ich abends auf mein Sofa und lese, schaue fern oder höre Musik“, erzählt die 59-jährige MFA. Aber auch der Tapetenwechsel spielt in Hechts Alltag eine große Rolle: Ausgedehnte Spaziergänge und Ausflüge bringen Abwechslung in den Alltag, durchbrechen Routinen und bieten neue Inspirationen. „Der Abstand ist wichtig, bevor man montags wieder in der Praxis durchstartet. Man muss sich dafür aber bewusst Freiräume im Privatleben schaffen, um eine gute Work-Life-Balance herzustellen“, weiß Hecht. Wichtig sind für sie auch Hobbies, um sich abzulenken und Zeit mit Freundinnen und Freunden und Familie zu verbringen, um Kraft zu tanken.
Geheimtipp: Power Nap auf der Untersuchungsliege
Trotzdem kennt auch die Praxismanagerin Hektik im Praxisalltag nur zu gut. „Mir hilft es bei akutem Stress aus der Situation herauszugehen und eine Kollegin bitten, zu übernehmen“, erzählt Hecht. „Häufig funktioniert es auch, das Problem kommunikativ zu lösen. Also, Probleme direkt und offen anzusprechen, damit es gar nicht erst zu Eskalationen kommt“, erklärt die erfahrene MFA. Wenn das nicht hilft, wird auch schon mal die Praxisleitung mit einbezogen.
Und dann hat sie noch einen echten Geheimtipp: ein kurzer Power Nap von 15 Minuten auf der Untersuchungsliege in der Mittagspause. Das gibt der Medizinischen Fachangestellten Energie und Kraft für die zweite Hälfte des Arbeitstags.
Momente der Ruhe und Stille schaffen
Auch Petra Schäfer hat gelernt, wie sie mit dem Praxisstress am besten umgeht. Sie arbeitet seit 34 Jahren als MFA, seit 23 Jahren in einer Facharztpraxis für Psychiatrie und Psychotherapie in Herrenberg. Genau wie Elke Hecht kann sie bei Ausflügen und Kurzurlauben besonders gut entspannen. Aber auch Sport, Sauna oder eine heiße Badewanne bei Kerzenschein und Musik bringen sie richtig runter. „Für mich sind nach langen Arbeitstagen mit viel Telefonaten und Patientengesprächen Momente der Ruhe und Stille ganz wichtig“, erzählt Schäfer.
Prioritäten setzen
In der Praxis sind Prioritäten für die 56-Jährige entscheidend, um nicht in die Stressmühle zu geraten. „Wenn der Patient vor mir steht, dann hat das Priorität – auch wenn das Telefon klingelt. Wenn dann noch mein Chef dazukommt und sieht, dass ich beschäftigt bin und schlecht unterbrechen kann, legt er mir einfach einen Zettel hin. Oft genügt auch ein kurzer Blickkontakt, um mir zu signalisieren, dass er mir eine wichtige Information geben muss. Dann bitte ich doch den Patienten um eine kurze Unterbrechung“, berichtet Schäfer. Gerade in ihrem Fachbereich kommen Patientinnen und Patienten am Telefon gerne mal ins ausführliche Erzählen. „Dann sollte man als MFA den Patienten klar kommunizieren, dass man weiterarbeiten muss. Wenn man das freundlich und offen macht, haben die Patienten auch Verständnis. Wir nehmen uns viel Zeit am Telefon für sie, aber es geht nicht, wenn gerade drei andere Personen warten“, weiß die Praxismanagerin.
Wichtig ist für Schäfer auch, selbst zu erkennen, wenn das Arbeitsaufkommen zu hoch ist. „Dann muss man auf sich achten, dass man Ruhe bewahrt. Es wird nicht besser, wenn man hektisch wird und sich stressen lässt oder sich über jemanden aufregt. Die Leute lösen sich deshalb nicht plötzlich in Luft auf“, sagt Schäfer und ergänzt: „Man braucht schon ein bisschen dickes Fell, um den Praxistrubel an sich abprallen zu lassen.“
Tanja Reiners