Schwierige Patienten: „Eine innere rote Linie ziehen“ – Teil 2

4. August 2022

Im ersten Teil des Interviews zum Umgang mit schwierigen Patienten hat Cognitive-Coach Katrin Holzinger erklärt, wie man rational mit unangenehmen Situationen in der Praxis umgehen kann. Aber was ist zu tun, wenn die Situation eskaliert?

MEDI: Nächste Deeskalationsstufe: Wie reagiere ich auf verbale Beleidigungen?

Holzinger: Wenn Menschen richtig unangenehm werden und man sich das nicht gefallen lassen möchte, muss man bereit sein, den Konflikt auszutragen. Deshalb sollte man lernen eine innere rote Linie zu ziehen, um sich zu schützen und abzugrenzen. „Nein!“ sagen. Deshalb unsere Tipps:

Vor allem verbale Angriffe nicht persönlich nehmen! Einen Schritt zurückgehen, tief ein- und ausatmen, sich einen Moment Zeit nehmen und nachdenken – sich bewusst machen, dass der andere so handelt, wie er will und nicht wie man es selbst gerne hätte.

Die eigene Unzufriedenheit ausdrücken, sich aber nicht ärgern – sonst hat der andere die Macht über die eigenen Reaktionen gewonnen.

Nicht auf das aggressive Verhalten des anderen einsteigen. Lieber warten, bis er seinen Dampf abgelassen hat. Dem Angreifer nicht ins Wort fallen. Zuhören und vor allem nie „Beruhigen Sie sich doch!“ sagen. Mit solchen Aussagen triggert man einen wütenden Menschen nur noch mehr, weil man ihm sagt, wie er sich verhalten soll. Auf diesem rationalen und bewussten Gedankenstand befindet er sich aber noch gar nicht, sodass man keinen Zugang zu ihm finden kann.

MEDI: Was ist noch wichtig?

Holzinger: Aus der Ich-Perspektive zu sprechen und die eigene Sicht der Dinge zu schildern. Also: „Ich sehe, dass Sie sich über etwas geärgert haben.“ Somit fühlt sich das Gegenüber nicht angegriffen. Und: Patienten in brenzligen Situationen nicht entwerten. Das bedeutet, dass es einen Unterschied macht, ob wir sagen „Sie sind ungeduldig“ oder sagen „Ich empfinde Ihr Verhalten gerade als ungeduldig“. Bei dem zweiten Beispiel beziehen wir unsere Äußerung auf unsere persönliche Wahrnehmung in dieser konkreten Situation, ohne den Menschen als generell ungeduldig zu bewerten.

Fragen stellen und sich nicht auf Annahmen verlassen: „Kann es sein, dass Sie gerade mit etwas unzufrieden sind? Bitte sagen Sie mir doch, was sie stört. Ich versuche das für Sie zu regeln!“

Auf die eigene Sprache achten – denn sie löst im Anderen tatsächlich entsprechende Gefühle aus.

Am besten keine Beschuldigungen formulieren und nicht auf Teufel komm raus Recht behalten und den anderen mit Worten besiegen wollen.

MEDI: Und dennoch steigt der Adrenalinpegel schnell mit an. Wie kann ich mich persönlich abgrenzen und wirklich cool bleiben?

Holzinger: Durch rationales Denken und qualitative Gefühle. Das bedeutet, auch in unangenehmen Situationen versuchen, gesunde Gefühle zu entwickeln. Ärger und Wut sind ungesunde Gefühle, weil sie uns blockieren und zu psychosomatischen Beschwerden führen können. Und: Sie helfen uns in solchen Situationen überhaupt nicht weiter – im Gegenteil.

Es hilft aber auch nicht auf Happiness zu machen, wenn die Situation schwierig ist. Positives Denken ist nicht angebracht, weil es in einer eskalierenden Situation keine Funktion hat.

MEDI: Sondern?

Holzinger: Eine gute Basis für einen entspannten Alltag ist, das eigene Denken unter die Lupe zu nehmen. Denn unsere innere und äußere Sprache und somit unser Denken und Fühlen sind der Spiegel unseres Handelns. Zum Üben gehört auch dazu, sein Wissen über schwierige Menschen aufzubauen. Ziel im Umgang mit ihnen ist: Eine Stufe intelligenter zu sein und maßvoll zu reagieren. Den Menschen an sich, egal wie er zur Tür hereinkommt, bedingungslos zu akzeptieren und auf sein „schlechtes“ Verhalten angemessen und qualitativ emotional zu reagieren.

MEDI: Wie geht man als Team mit diesen Situationen um? Wie können sich Ärztinnen, Ärzte und MFA gegenseitig unterstützen?

Holzinger: Ein gutes Vorbild für Patienten sein. Eine stabile, sachliche und vertrauensvolle Atmosphäre innerhalb des Teams ist für sämtliche Angriffe die beste Basis. Wir kennen das alle, wenn wir irgendwo reinkommen und die schlechte Stimmung schon in der Luft liegt. Besonders hilfreich ist es, den „schwierigen Menschen“ und vor allem die eigentlichen Auslöser kennenzulernen. Das bedeutet, die eigenen psychosozialen Kompetenzen zum eigenen Schutz, vertiefen. Wenn man die objektiven Fakten mit einer guten emotionalen Reaktion darlegen kann, ist man meistens in der besseren Position.

Praxisteams können sich auf schwierige Situationen gemeinsam vorbereiten, indem sie innerhalb des Teams Regeln definieren und Maßnahmen für bestimmte Szenarien durchspielen und klar vereinbaren: Was ist zu tun, wenn … Das ist ein gutes praktisches Training, um Routinen für schwierige Situationen zu finden und direkt angemessen reagieren zu können.

Tanja Reiners

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