Ärzte und deren Teams werden bedroht, weil sie gegen Covid-19 impfen. Was ist zu tun, wenn so etwas passiert? Matthias Klein ist Fachanwalt für Strafrecht und für Medizinrecht. Er vertritt auch betroffene Ärzte.
MEDI: Wann sollten Ärzte oder Ärztinnen, die von Impfgegnern bedroht oder beschimpft werden, sich Unterstützung durch einen Anwalt suchen?
Klein: Sofort. Niemand kann solche Belastungen alleine durchstehen. Viele Impfgegner radikalisieren sich, organisieren sich und planen im Dunkeln konzertierte Aktionen gegen eine oder mehrere Praxen. Man kann das schlecht voraussagen. Schlimmstenfalls kann es von heute auf morgen zu einer Radikalisierung kommen, die den Praxisbetrieb empfindlich stört oder gar unmöglich macht.
Aktionen, die darauf ausgelegt sind, den Betrieb einer Praxis oder eines Impfzentrums zu stören, können schnell spürbare Auswirkungen haben. Dafür gibt es Anzeichen und Warnzeichen, die man erkennen kann, wenn man weiß, worauf man schauen muss.
Es ist meist zu spät oder zumindest sehr ineffektiv, erst im Ernstfall Verbindungen zum Anwalt und der Polizei oder gar dem Staatsschutz aufzubauen. Um immer einen Schritt weiter zu sein als die Gegenseite, braucht es Planung und Strategie.
MEDI: Welche Straftatbestände sehen Sie in solchen Fällen?
Klein: Die Liste ist lang, in Betracht kommen vor allem Beleidigung (§ 185 StGB), Üble Nachrede (§ 186 StGB), Verleumdung (§ 187 StGB), Bedrohung (§ 241 StGB), Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten (§ 126 StGB), Gefährdendes Verbreiten personenbezogener Daten (§ 126a StGB), Öffentliche Aufforderung zu Straftaten (§ 111 StGB) Belohnung und Billigung von Straftaten (§ 140 StGB) oder Landfriedensbruch (§ 125 StGB). Es gibt leider bereits Fälle, in denen wegen versuchtem Mord ermittelt wird. Wenn sich jemand an den Radmuttern des Autos zu schaffen macht, ist das kein Protest mehr, sondern ein versuchtes Tötungsdelikt.
MEDI: Welche Schritte unternehmen Sie in so einer Situation?
Klein: Ich habe als Fachanwalt für Strafrecht naturgemäß viel mit der Polizei zu tun. Deshalb kenne ich die Strukturen sehr gut und weiß, welche Hebel man wo in Bewegung setzt, um Betroffene möglichst gut zu schützen. Alles beginnt mit einer Gefährdungsanalyse, sowohl bei der Polizei als auch beim Anwalt.
MEDI: Falls Praxismitarbeiter bedroht oder beschimpft werden: Können und sollen ihre Chefs Anzeige erstatten?
Klein: Auf jeden Fall! Die Angestellten sind ja sozusagen an vorderster Front und bekommen am Empfang, aber auch am Telefon und per Mail alles zuerst ab. Es ist wichtig, dass sie nicht nur merken, dass die Chefin oder der Chef hinter ihnen steht, sondern dass auch ganz konkrete Maßnahmen ergriffen werden.
Das Wichtigste ist hier, dass alle wissen, was sie im Falle eines Falles tun müssen. Wohin sollen Mails mit „Hatespeech“ geleitet werden? Wie gehe ich deeskalierend vor, ohne mich dabei selbst zu gefährden? Wie erkenne ich ernstzunehmende Bedrohungen, und wen informiere ich ganz konkret? Welche technischen Sicherungsvorkehrungen gibt es? Und wie setze ich sie wann ein?
Man kann diese Abläufe sehr gut planen, vorgeben und dadurch Sicherheit vermitteln. Das stärkt auch den Zusammenhalt im Team. Der wichtigste Rat ist meines Erachtens: Sich nicht scheuen, die 110 zu wählen. Lieber einmal mehr als einmal zu wenig. Auch ein Notruf muss geübt sein.
Ruth Auschra