Christian Baumann ist Facharzt für Allgemeinmedizin und ärztlicher Leiter des MEDIMVZ Aalen. In Aalen ist er auch aufgewachsen. Dennoch ist sein Horizont nicht auf Schwaben begrenzt: Baumann hat neun Jahre als Arzt in Australien gearbeitet, um in der Nähe seiner kanadischaustralischen Frau zu leben.
Das Ärztepaar lernte sich in Südafrika kennen, wo Baumann sein Praktisches Jahr absolvierte. Sie wollten zusammenbleiben, also zog er nach bestandenem Staatsexamen nach Australien. Um als Arzt anerkannt zu werden, musste er wie jeder ÜberseeArzt in Australien dort erneut ein Staatsexamen ablegen.
Er bestand und arbeitete mehrere Jahre als Assistenzarzt in städtischen Krankenhäusern, immer mit dem Ziel Allgemeinmedizin. Dabei sah er sich mit einer Ärzteschwemme und staatlich reglementierter Weiterbildung konfrontiert: Zuerst kamen Australier zum Zug, die in Australien studiert hatten. Dann Ärzte aus dem Ausland, die in Australien studiert hatten. An dritter Stelle standen die australischen Ärzte, die in Übersee studiert hatten, und erst danach kamen ÜberseeÄrzte wie Baumann zu ihrer Weiterbildungsstelle.
„Ich wollte schon immer Hausarzt werden“
Baumann arbeitete zunächst in verschiedenen Kliniken auf dem Land, wo er das australische Gesundheitswesen kennenlernte. „Hausarzt war schon immer mein Berufswunsch“, sagt er. Der Berufsalltag im ländlichen Süden Australiens ist allerdings ganz anders als auf der Alb. Eine seiner Weiterbildungspraxen versorgte alle Menschen aus dem Umkreis von 100 Kilometern, andere Praxen gab es nicht. „Da muss man für einen Hausbesuch morgens vor der Sprechstunde schon ein bisschen mehr Zeit einplanen“, lacht Baumann, „und das Zurechtfinden ist auch nicht immer ganz einfach.“
Gute Zusammenarbeit mit Nurses
Es war ungewohnt für den Arzt, wie viele Aufgaben in Australien eigenverantwortlich von Advanced Practice Nurses übernommen werden. Sie sind mit VERAH oder Physician Assistants vergleichbar. Vor Ort sind sie zum Beispiel für Erstkontakte und Überweisungen zuständig, sie übernehmen die Versorgung von Wunden oder Frakturen, verschreiben in bestimmten Fällen auch Antibiotika und Schmerzmittel. Bei Fragen kontaktieren sie die Ärzte per Telefon oder Video.
In Australien haben alle Menschen mit einer dauerhaften Aufenthaltsgenehmigung Anspruch auf die gesetzliche Krankenversicherung medicare, die eine Grundversorgung abdeckt. Wer es sich leisten kann, schließt eine oder mehrere Zusatzversicherungen ab, zum Beispiel für Behandlungen beim Zahnarzt, beim Augenarzt oder für Naturheilverfahren. Zuzahlungen sind also an der Tagesordnung, es gibt keine Trennung in Privat und GKVPatienten. „Auch beim Hausarzt finden es die Patienten normal, dass sie zuzahlen müssen“, erzählt Baumann. Ungewöhnlich für deutsche Verhältnisse ist es auch, dass ein ländlicher Hausarzt in Australien typischerweise in einer Praxis arbeitet, an die eine kleine Klinik angeschlossen ist. Als Hausarzt versorgt man seine Patienten also zum Teil auch stationär.
„Auch in Australien gibt es bei der Anspruchshaltung der Patienten einen krassen Unterschied zwischen Stadt und Land“, berichtet er. In den Städten geht man schon mal wegen Schmerzen im kleinen Zeh nachts in die Notaufnahme, auf dem Land wird der Arzt nur konsultiert, wenn es nicht mehr anders geht.
Zurück in die Heimat
Nach neun Jahren Australien war es Zeit für Baumann, wieder nach Deutschland und zur Familie zurückzukehren. Dort entstand über private Freundschaften der Kontakt zum MEDI-MVZ Aalen, wo er seine Facharztausbildung beendet und die ärztliche Leitung übernommen hat.
Es ist mittlerweile eins von acht MEDIMVZ in Baden-Württemberg. Bei allen kümmert sich der Geschäftsführer Dipl.Ges.oec. (FH) Wolfgang Fink um Verwaltung, Abrechnung und die übliche Bürokratie. Für Baumann passt die kooperative Struktur. Der Allgemeinmediziner findet es sinnvoll, dass VERAH selbstständig Hausbesuche, Wundversorgung oder Beratungen machen.
Erschreckend ist für ihn dagegen, wie schlecht die Arbeit der medizinischen Assistenzberufe in Deutschland honoriert wird, von MFA über Physiotherapeuten bis hin zur Pflege. „Was diese Berufe leisten, ist elementar für unsere Gesellschaft“, erinnert er und weist noch einmal darauf hin, dass unser Gesundheitssystem auch den unnötigsten Besuch in der Notaufnahme finanziert.
Ruth Auschra