Eheringe und Gelnägel: In der Praxis erlaubt?

16. August 2020

MFA mit Nagellack, langen Fingernägeln, Ringen und Armbändern? So etwas soll es gegeben haben – damals, vor Corona. In Pandemie-Zeiten muss selbstverständlich noch mehr als sonst auf die Einhaltung von Hygieneregeln geachtet werden. Wir nehmen die Argumente der gestylten MFA unter die Lupe.

„Ist doch gar nicht verboten“

Die Regelungen der TRBA 250 (Technische Regeln für Biologische Arbeitsstoffe) sind rechtlich verbindlich. Die TRBA werden vom Ausschuss für Biologische Arbeitsstoffe (ABAS) ermittelt und angepasst und vom Bundesministerium bekanntgegeben. Hier ist festgelegt, dass Ringe und Eheringe, Uhren, Armbänder, Freundschaftsbänder und Piercings im Handbereich vor Arbeitsbeginn abgelegt werden müssen.

„Ist doch gar nicht erwiesen“

Für die Hygiene-Experten reichen die Belege, um sich gegen lackierte Fingernägel und Schmuck auszusprechen. Das RKI fasst die Datenlage zu künstlichen Fingernägeln so zusammen: Künstliche Fingernägel verursachen ein erhöhtes Risiko, sowohl bakterielle Erreger als auch Pilze weiterzugeben. Es wird vermutet, dass unvollständig dichte Ränder unter den künstlichen Nägeln die Ursache dafür sind.

Ähnliches gilt auch für SARS-CoV-2. Das Virus wird zwar hauptsächlich über inhalierte Tröpfchen verbreitet. Experten gehen jedoch davon aus, dass Fingernägel als Reservoir für Viren dienen können. Das Virus überlebt lange Zeit unter Umweltbedingungen – vermutlich bleibt es auch auf und unter den Nägeln lebensfähig.

Verschmutzungen unter Ringen oder farbigem Lack sind nicht sichtbar. Unter einem Gelnagel kann sich übrigens auch unbemerkt ein Nagelpilz entwickeln. Außerdem liegt der Verdacht nahe, dass man gestylte Nägel und Finger mit wertvollen Ringen eher vor allzu heftiger Desinfektionsmaßnahmen schützt. Ein unnötiges Risiko also, wie die Experten vom Robert-Koch-Institut (RKI) finden.

„Ich arbeite ja nur am Empfang“

Arbeiten Sie wirklich ganz ohne direkten Patientenkontakt? Sind Ihre Hände wirklich nur am Telefon und Computer tätig? In der Praxis sind Ausnahmen häufig: Wenn eine Kollegin ausfällt, springt häufig auch die Empfangs-MFA ein, um einen Verband zu wechseln, Blut abzunehmen oder andere Tätigkeiten am Patienten durchzuführen. In diesen Situationen muss auch sie die Hygienevorschriften beachten.

„Wenn es keiner merkt …“

Hygienevorschriften sollten lieber nicht heimlich umgangen werden. Denn: Es gibt gute Gründe für Hygiene-Maßnahmen. Für einen immungeschwächten Patienten kann der Verstoß gegen Hygienevorschriften ernsthafte Folgen haben. Hier passt gut das Zitat einer Hygienebeauftragten: „Die persönliche Freiheit endet für MFA da, wo die Gefährdung von Patienten beginnt.“

Gestylte Nägel oder Schmuck sind auch eine Herausforderung für die Zusammenarbeit im Team. Wie soll die Hygienebeauftragte mit einer Kollegin umgehen, die sich an die Vorschriften nicht hält? Müssen sich alle im Team an die Hygieneregeln halten oder ist das eine private Entscheidung? Oft kommt es zu internen Konflikten, wenn Kolleginnen auf einen Verstoß gegen die Hygieneregeln hinweisen.

„Meinem Chef ist das egal“

Der Praxischef ist für die Einhaltung der Hygienevorschriften im Praxisalltag verantwortlich. Verstöße der Mitarbeiterinnen dagegen können für ihn juristische Folgen haben. Angenommen, nach einem Verbandswechsel kommt es zu einer Wundinfektion und der Patient erinnert sich, dass die MFA lange, rote Fingernägel hatte. Wenn er zum Anwalt geht, kommt es zu einer Beweislastumkehr: Der Arzt müsste in so einem Fall beweisen, dass dieser Hygienemangel nicht Grund für die Infektion war. Das dürfte schwierig und sehr stressig werden!

„Es hat sich noch kein Patient beschwert“

Normalerweise kennen sich Patienten nicht mit den Hygienevorschriften aus, vielleicht trauen sie sich aber auch einfach nicht, vor der Blutentnahme Kritik an den Fingernägeln zu äußern. Es wäre sehr unangenehm, wenn in einer Internet-Bewertung geschrieben wird, dass es in der Praxis Hygienemängel gibt. Das kommt tatsächlich vor, hier ein Originalzitat: „Beim Blutabnehmen war ich überrascht über die wallende, offen getragene Haarmähne sowie die überlangen, bunt lackierten Fingernägel der Arzthelferin. Hygiene?“ Oder auch: „Während die Helferin eine Untersuchung beim Patienten macht, fühlt sie sich unbeobachtet und kaut an den Fingernägeln. Ein Ring hat sie an (Hygiene). Im Großen und Ganzen alle ganz nett.”

„Wir dürfen Eheringe tragen“

Das Tragen von Ringen entspricht nicht den Hygienevorschriften. Vor allem Ringe mit Steinen könnten für Perforationen von Handschuhen sorgen. Auch für steinlose Eheringe gilt: Unter dem Ring finden sich höhere Keimzahlen und die Finger sind schlechter zu desinfizieren. Manche Hygieniker gehen davon aus, dass Hände mit Schmuck seltener desinfiziert werden, um das Schmuckstück nicht zu gefährden. Grundsätzlich wird deshalb die Gefahr einer Keimübertragung trotz Desinfektion gesehen.

„Meine Fingernägel sind aber so kaputt“

Spröde und rissige Fingernägel sind stärker mit Krankheitserregern besiedelt als gesunde Nägel. Die Händedesinfektion kann wehtun, eventuell kann das Desinfektionsmittel seine Wirkung nicht an allen Bereichen des Fingernagels voll entfalten. Bei bestimmten Indikationen ist deshalb ein medizinischer Nagellack als Therapie sinnvoll.

Darf eine MFA mit brüchigen Fingernägeln also einfach einen Nagellack aus der Apotheke holen? Nein! Ob und welcher medizinische Nagellack aufgetragen werden soll, darf man nicht im Alleingang entscheiden. Laut RKI sind im Fall dermatologisch begründbarer Nagelbehandlungen die hiermit verbundenen Risiken in Absprache zwischen Betriebsarzt und Dermatologen abzuwägen.

Ruth Auschra

  •  

Social Media

Folgen Sie uns auf unseren Plattformen.

Aktuelle MEDI-Times

MEDI-Newsletter

Mit dem kostenfreien MEDI-Newsletter informieren wir Sie regelmäßig über aktuelle Themen und die neuesten Angebote. Bleiben Sie mit uns auf dem Laufenden!

Die Datenschutzerklärung habe ich zur Kenntnis genommen und bin damit einverstanden.*

Auf Facebook kommentieren!

„Diabetologische Leistungen sind im EBM nur unzureichend abgebildet“

Wachsende Patientenzahlen, steigende Anforderungen an die Therapie und fehlende Finanzierung im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) stellen diabetologische Schwerpunktpraxen (DSP) bundesweit vor große Herausforderungen. Wer sich in Baden-Württemberg dem MEDI-Diabetologievertrag angeschlossen hat, ist deutlich besser dran. Der Diabetologe Dr. Richard Daikeler erläutert die Stärken des Vertrags – und erklärt, warum er den Protest der Kolleginnen und Kollegen bundesweit unterstützt.

Neues Konzept zur ambulanten Weiterbildung: „Das ist eine Investition in die Zukunft“

Neues Konzept zur ambulanten Weiterbildung: „Das ist eine Investition in die Zukunft“

Mehr ambulante Angebote, weniger Fokus auf die Kliniken – wohin die Reise bei der Weiterbildung im Fach Allgemeinmedizin gehen soll, ist eigentlich klar. Doch der Weg dorthin gestaltet sich allzu oft holprig. Ein neues Konzept von Young MEDI unter der Federführung der Allgemeinmedizinerin Dr. Christine Blum und des Orthopäden Dr. Ferdinand Gasser soll das ändern und die ambulante Weiterbildung attraktiver und zugänglicher gestalten.

Elektronische Patientenakte: MEDI fordert deutliche Verschiebung für sicheren Start –Scharfe Kritik an intransparenter Kommunikation des BMG

MEDI Baden-Württemberg e. V. fordert eine deutlich längere Testphase für die elektronische Patientenakte (ePA) und das Bundesgesundheitsministerium (BMG) auf, den Start der ePA realistisch und transparent anzupassen. Die Bedenken der Anbieter der Praxisverwaltungssysteme (PVS) müssten ernst genommen werden. Die aktuelle Kommunikation des BMG zur Zeitplanung sorge für Verwirrung bei der niedergelassenen Ärzteschaft.