Coronakrise: „Ich erlebe mehr Menschlichkeit“

17. Juni 2020

Wie ergeht es Medizinischen Fachangestellten in Coronazeiten? Wie sieht ihr Arbeitsalltag aus und was sind die größten Herausforderungen? MEDI hat mit drei MFA aus der Facebookgruppe MFA im MEDI Verbund gesprochen. Die Gespräche haben gezeigt: Die Situationen in den Praxen können unterschiedlicher nicht sein.

Iris Bernkopf arbeitet als MFA und Erstkraft in einer kardiologischen Praxis in Kirchheim unter Teck. Inzwischen ist die Praxis wieder gut besucht. „Viele Patienten sind zu Beginn der Coronakrise weggeblieben. Unsere Ärzte haben telefonisch entschieden, wer zur Kontrolle muss und wer zu Hause bleiben kann. Seit den Lockerungen vereinbaren unsere Patienten wieder vermehrt Termine“, erzählt die 38-Jährige.

Baldriankissen für die Katzen
Das erlebt Sandra Maisch ganz anders. Die 45-jährige MFA und VERAH arbeitet in einer allgemeinmedizinischen Praxis in Ludwigsburg – aktuell in Kurzarbeit vier Stunden täglich. „Ich habe gerade sehr viel Freizeit, kann es aber durch die Einschränkungen gar nicht richtig genießen“, bedauert sie im Gespräch mit MEDI. „Wir sind eine kleine Praxis. Wenn Patienten wegbleiben, spüren wir das sofort. Gerade die älteren haben Angst wieder rauszugehen. Ganz langsam kommen die ersten Patienten zurück. Ich hoffe, dass ich bald wieder ganz normal arbeiten kann.“ Jetzt nutzt sie die freie Zeit, sich noch stärker für den Tierschutz zu engagieren und näht Baldriankissen für Katzen.

Ästhetische Behandlungen statt Reisen
Melanie Kaeselitz hingegen ist voll im Stress. Die Praxis boomt – trotz oder vielleicht sogar wegen Corona. Als Erstkraft einer Stuttgarter Praxis für plastische Chirurgie arbeiten sie und ihr Team rund um die Uhr. „Viele Patienten möchten mit kleinen Operationen wegen Abszessen oder Hautkrebs nicht in die Klinik und kommen deshalb zu uns“, erzählt die 45-Jährige.

Aber auch im ästhetischen Bereich gibt es Zulauf. „Manche Patienten sagen ihre Kreuzfahrten ab und investieren das Geld lieber in ästhetische Behandlungen.“ Während des Lockdowns hat die Praxis allerdings auch eineinhalb Monate auf große Operationen mit Vollnarkose verzichtet, um das Beatmungsgerät für schwere Covid-19-Verläufe bereitzuhalten.

Mehr Verständnis für Patienten
Und wie ist die Stimmung unter den Patienten? „Die Stimmung ist aktuell gereizter als sonst. Vor allem, wenn wir die Patienten auf die Maskenpflicht hinweisen“, erzählt Iris Bernkopf. Sandra Maisch erlebt das auch in der Allgemeinarztpraxis. Melanie Kaeselitz hingegen macht auch eine neue Erfahrung: „Ich erlebe mehr Menschlichkeit in diesen Zeiten. Man hört den Patienten mehr zu und hat Verständnis für ihre Sorgen in der Krise. Oft begleiten wir die Patienten noch nach draußen, gerade ältere Menschen.”

Um gute Nerven zu behalten, ist die Arbeitsatmosphäre in der Praxis besonders wichtig. „Die Stimmung in unserem Team ist gut. Wir achten alle aufeinander und haben keine Angst“, berichtet Kaeselitz. Auch in Bernkopfs Team halten alle zusammen: „Zu Ostern haben mir meine Kolleginnen ein tolles Geschenk als Dankeschön dafür gemacht, dass ich immer für sie da bin. Das hat mich zu Tränen gerührt.“

Mit Maske wie unter einer Käseglocke
Aber manchmal liegen die Nerven blank. „Das ständige Desinfizieren der Praxis und permanente Tragen der Masken ist sehr anstrengend. Ich bekomme durch die Maske schnell Kopfschmerzen, fühle mich wie unter einer Käseglocke und bin abends häufig völlig k.o.“, erzählt Iris Bernkopf. Sandra Maisch vermisst durch die Kurzarbeit vor allem einen geregelten Tagesrhythmus und fühlt sich nicht ausgelastet.

Kann man aus der Coronakrise etwas lernen? „Als kardiologische Praxis benötigten wir vorher keine Masken. In Zukunft werden wir aber immer genug Schutzmaterial vorrätig haben – auch nach Corona“, berichtet Bernkopf. Für Kaeselitz ist die erhöhte Achtsamkeit ein Gewinn aus der Krise. „Ich schätze dadurch wieder mehr, was meinen Job wirklich ausmacht”, sagt sie.

Tanja Reiners

 

Bild: Achtsamer durch die Krise – MFA Melanie Kaeselitz

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