Analysen von Routinedaten belegen, dass die Versorgungsvorteile für die aktuell 1,7 Millionen HZV-Versicherten stetig größer werden. Wissenschaftler der Universitäten Heidelberg und Frankfurt/Main weisen nach, dass sich die „Qualitätsschere“ kontinuierlich zugunsten der HZV weiter öffnet.
So bleiben etwa Diabetikern während sieben Beobachtungsjahren (2011-2017) rund 4.850 schwerwiegende Komplikationen wie Herzinfarkte, Erblindungen oder Schlaganfälle erspart – mit signifikant besserer Entwicklung von Jahr zu Jahr. Bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit (KHK) traten allein 2017 in der HZV-Gruppe 2.674 Krankenhausaufenthalte weniger auf als bei Vergleichspatienten in der Regelversorgung, und damit 40 Prozent mehr als ein Jahr zuvor.
Die Wissenschaftler führen die Vorteile auf die intensivere und besser koordinierte Versorgung durch den Hausarzt zurück. Bei 96 Prozent der HZV-Versicherten finden die Hausarztkontakte bei „ihrem“ Hausarzt statt, bei Nicht‐HZV‐Versicherten nur in 84 Prozent der Fälle. Für die Vertragspartner zeigt die Evaluation erneut, dass der politische Wille zur Umsetzung der HZV erfolgreich gelingt, wenn Ärzte und Krankenkasse gemeinsam passgenaue Versorgungsstrukturen vor Ort entwickeln und umsetzen. Die Fortsetzung dieser bundesweiten Erfolgsgeschichte und vieler Selektivverträge sei jedoch durch das FKG akut gefährdet.
Besser versorgt bei niedrigeren Gesamtausgaben
Dazu kommentiert Dr. Christopher Hermann, Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württemberg: „Seit Jahren ist bewiesen, dass vor allem chronisch erkrankte Patientinnen und Patienten, die im Besonderen auf eine koordinierte und sektorenübergreifende Behandlung angewiesen sind, in der alternativen Regelversorgung deutlich besser versorgt werden. Und zwar bei niedrigeren Gesamtausgaben. Das alles steht jetzt mit dem FKG auf der Kippe. Minister Spahn will mit seinem Gesetz vermeintliche Wettbewerbsverzerrungen beseitigen, um angeblich den Kassenwettbewerb zu befördern.“
De facto würde aber das genaue Gegenteil geschehen. Der Kabinettsentwurf des FKG beschneide die Krankenkassen in ihren Möglichkeiten, patientengerechte Verträge zu vereinbaren. Es bestehe daher in der parlamentarischen Beratung des FKG dringender Änderungsbedarf. Hermann: „Das betrifft insbesondere das Verbot, in unseren Versorgungsverträgen auf konkrete Behandlungsdiagnosen Bezug zu nehmen, um daran Leistung und Vergütung auszurichten. Dieses Verbot ist anachronistisch und muss weg. Bleibt es dabei, können wir mit unseren Verträgen weder Versorgung weiterhin bedarfsgerecht steuern noch aufwandsgerecht vergüten.“
Gerlach: „Signifikante Unterschiede“
Prof. Dr. Ferdinand Gerlach, Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin der Goethe-Universität Frankfurt/Main, führt zu den Ergebnissen der Evaluation aus: „Es zeigen sich über sieben Jahre statistisch signifikante Unterschiede hinsichtlich des Auftretens typischer Diabetes-Komplikationen. Hochgerechnet konnten in der HZV-Gruppe mit 119.000 Versicherten rund 4.850 schwerwiegende Komplikationen wie Dialysepflicht, Erblindung, Amputation, Herzinfarkt und Schlag-anfall vermieden werden. Die Zahlen nehmen in der Tendenz im Zeitverlauf überproportional zu. Bei älteren Patienten über 65 Jahren wurden 2017 bei den 395.000 HZV-Versicherten in rund 7.000 Fällen weniger potenziell inadäquate Medikation verordnet, und es gab 393 vermiedene Einweisungen mit Hüftfrakturen, das sind fast doppelt so viele wie im Vorjahr.“
Deutliche Überlebensrate bei Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz
Für HZV-Versicherte, die gleichzeitig auch am AOK-Facharztprogamm teilnehmen, zeigte sich zudem vor kurzem in einer vom GBA-Innovationsfonds geförderten Evaluation, dass Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz und KHK bereits nach einem Zeitraum von zwei Jahren eine signifikant höhere Überlebensrate aufweisen.
Die eindeutigen Vorteile der HZV und die optimierte ambulante Versorgung durch die mit der HZV eng verknüpften Facharztverträge ergäben sich laut Gerlach aus dem konkreten Zusammenspiel vertraglicher Steuerungsinstrumente – unter anderem zur Optimierung der Arzneimitteltherapie. So müssen die Hausärzte etwa regelmäßig an strukturierten Qualitätszirkeln zur rationalen Pharmakotherapie teilnehmen.
Die Ergebnisse zeigen, dass die angestrebte Lotsenfunktion des Hausarztes in der HZV-Gruppe gelingt. Die häufigeren Kontakte (rund 2,2 Kontakte mehr pro Jahr) sprechen für eine erhöhte Betreuungsintensität durch den Hausarzt. Die deutlich bessere Koordination der Versorgung belegt die deutlich geringere Anzahl unkoordinierter Facharztkontakte ohne Überweisung.
Sie liegt pro Jahr um rund 1,34 Millionen niedriger als in der Regelversorgung. Prof. Dr. Joachim Szecsenyi, komm. ärztlicher Direktor der Abteilung Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung des Universitätsklinikums Heidelberg: „Wir können nicht nur bei der Versorgungsintensität und -koordination deutliche Unterschiede zugunsten der HZV‐Versicherten beobachten, sondern auch in der Versorgungskontinuität. Die Hausarztbindung liegt in der HZV-Gruppe bei 96 Prozent im Vergleich zu 84 Prozent in der Regelversorgung.“
HZV wirkt auch auf dem Land
Aus vielen Studien sei bekannt, dass eine stabile Hausarztbindung einhergeht mit höherer Patientenzufriedenheit, weniger Krankenhauseinweisungen, geringerer Mortalität und auch einer effizienteren Nutzung wirtschaftlicher Ressourcen. Durch die letztjährige HZV-Evaluation sei darüber hinaus für den AOK-Hausarztvertrag explizit belegt, dass die Vorteile gegenüber der Regelversorgung auch in puncto Versorgungsgerechtigkeit gegeben sind: Es gibt keinerlei Versorgungsunterschiede hinsichtlich Wohnort, Geschlecht und sozioökonomischem Status innerhalb der HZV-Gruppe. Das bedeutet nicht zuletzt: Die HZV wirkt auch auf dem Land.
Kein HZV-Light
Diese für die HZV belegte bessere Versorgungssteuerung und -koordination könne aber nicht in die Regelversorgung übertragen werden, wie Dr. Berthold Dietsche, Chef des Hausärzteverbandes Baden-Württemberg, betont: „Geradezu grotesk ist der kürzlich verbreitete Vorschlag, die HZV über einen Hausarzttarif sozusagen als HZV-Light-Version in die Regelversorgung einführen zu wollen mit der Begründung, es sei unethisch, den Patienten die HZV vorzuenthalten. Die HZV ist ja vor über elf Jahren gerade bewusst als wettbewerbliche Antwort auf die festgefahrenen Strukturen des KV-Systems entstanden. Die Politik sollte stattdessen eher alle Kassen mit Nachdruck an deren HZV-Umsetzungspflicht erinnern, damit bundesweit noch deutlich mehr Patienten davon profitieren können.“
Dr. Werner Baumgärtner, Vorstandsvorsitzender von MEDI Baden-Württemberg und MEDI GENO Deutschland, ergänzt: „Das, was die unabhängigen Wissenschaftler in mehreren Evaluationen immer wieder eindrucksvoll bestätigen, ist tagtäglich in tausenden Praxen gelebte Realität. Gerade unsere Patienten mit hoher Morbidität und chronischen Erkrankungen erhalten eine über die Regelversorgung hinausgehende Versorgung, was ja eines der Hauptziele des Gesetzgebers ist. Das ist nur mit Selektivverträgen auf Vollversorgungsbasis möglich. Unsere Erfahrungen zeigen aber, dass viele bundesweit agierenden Kassen lieber auf die bequemere Regelversorgung und einfach umzusetzende Add-on-Selektivverträge setzen. Und in deren Reihen sitzen jetzt wieder die gleichen Berater des Gesundheitsministers wie beim TSVG, um auf diese Weise unsere erfolgreichen Haus- und Facharztverträge in Baden-Württemberg zu eliminieren.“