„Motzen und protzen ist der neue Umgangston“

6. Mai 2019

Der Ton in der Gesellschaft wird rauer – das spürt man auch in den Arztpraxen. Deshalb bietet der MEDI Verbund regelmäßig Deeskalationsseminare an. Und: MEDI hat Praxis-Plakate gedruckt, die auf einen angemessenen Umgangston hinweisen. Elke Hecht erlebt respektlose Patienten fast täglich. Die 55-Jährige arbeitet seit rund 30 Jahren als MFA – aktuell in einer Praxis für Allgemeinmedizin in Stuttgart.

MEDI-Blog: Der Umgangston in Arztpraxen seitens der Patienten wird von vielen MFAs als aggressiver beschrieben. Welche Erfahrungen machen Sie?

Hecht: Was sich deutlich verändert hat in den vergangenen Jahren, ist der raue Umgangston, der unter dem Motto ‚motzen und protzen‘ steht. Patienten treten egoistisch und fordernd auf und haben keine Geduld mehr, wenn Arbeitsabläufe aus organisatorischen Gründen länger dauern. Die Leute vergreifen sich im Ton, werden laut und respektlos und manche auch feindselig. Früher waren die Patienten dankbar, wenn wir ihnen helfen konnten.

Ich habe vor einigen Monaten die Praxis gewechselt – vom Land in die Stadt. Hier sehe ich einen großen Unterschied. Auf dem Land ist die Entwicklung auch spürbar, aber nicht so drastisch.

MEDI-Blog: Was sind die typischen unangenehmen Situationen, denen MFAs ausgesetzt sind?

Hecht: Es sind häufig klassische Wartesituationen. Die Patienten haben keine Geduld beispielsweise auf die Unterschrift eines Rezepts zu warten. Oder wenn Notfälle in die Praxis kommen, die schnell versorgt werden müssen. Dann gibt es manchmal richtig Zoff im Wartezimmer. Manchmal schließen sich die Patienten dann sogar zusammen und bilden gemeinsam eine Front gegen uns.

Die Höflichkeit hat in den vergangenen Jahren schleichend abgenommen. Viele der Patienten stehen am Empfang und knallen ihre Versicherungskarte einfach auf den Tresen – ohne uns zu begrüßen, sich vorzustellen und ihren Wunsch zu äußern.

MEDI-Blog: Welche Erklärung haben Sie für diese Entwicklung?

Hecht: Ich glaube, dass die Digitalisierung eine Rolle spielt. Die Menschen verlieren den Kontakt zum Gegenüber, haben keine Möglichkeit eine Beziehung zu den Mitmenschen aufzubauen und Empathie zu entwickeln. Sie sind ständig mit sich und ihrer Selbstoptimierung beschäftigt wie beispielsweise mit Postings von sich in den sozialen Netzwerken. Viele Patienten verstehen nicht, dass wir für sie arbeiten. Wir schleusen jede Woche Hunderte von Menschen durch die Praxis. Am Ende wird auf Jameda anonym gehetzt, wenn sie unzufrieden sind, statt persönlich und in einem angemessenen Ton konstruktiv Kritik zu üben.

Aber auch die Sprachbarriere führt zu Problemen. Die Menschen aus anderen Kulturkreisen fühlen sich von uns oft nicht verstanden, und wir fühlen uns häufig ohnmächtig und ratlos.

MEDI-Blog: Wie schaffen Sie es, Ruhe zu bewahren? Was raten Sie Ihren Kolleginnen?

Hecht: Man muss Haltung zeigen. In kritischen Situationen mit Patienten stehe ich auf, damit ich mit meinem Gegenüber auf Augenhöhe bin. Und dann ist es wichtig, ‚Ich-Botschaften‘ zu senden, damit der Empfänger etwas über meine Bedürfnisse und Gefühle erfährt, ohne sich angegriffen zu fühlen. Ich habe vor einiger Zeit ein Kommunikationsseminar besucht, das für die eine oder andere Situation sehr hilfreich war. Das sollten alle Chefs ihren MFAs anbieten. Manchmal ist es sinnvoll aus der eskalierenden Situation rauszugehen. Dann übernimmt eine Kollegin. Es ist absolut empfehlenswert, die Arbeitsplätze innerhalb des Teams immer wieder zu wechseln.

Vor allem die jungen MFAs in Ausbildung brauchen Unterstützung von erfahrenen Kolleginnen, weil sie noch gar nicht wissen, wie sie auf respektloses Verhalten reagieren sollen. Aber auch die Rückendeckung vom Chef ist sehr wichtig. Bei uns werden Patienten, die sich nicht benehmen können, auch schon mal gebeten, die Praxis zu verlassen.

Aber ich kann den Stress ganz gut in der Praxis zurücklassen, wenn ich Feierabend habe. Glücklicherweise gibt es auch immer wieder sehr herzliche und schöne Begegnungen mit Patienten, die unsere Arbeit schätzen und dankbar sind. Das motiviert uns. Wichtig ist für mich, dass wir im Team über ärgerliche Situationen sprechen und uns auch mal gemeinsam aufregen können. Wir sitzen ja alle im selben Boot und sind zusammen stark. Das hilft.

Tanja Reiners

Sie möchten Patienten auf deren Umgang mit dem Praxisteam hinweisen?
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Deeskalationstraining für das Praxisteam
Der nächste Workshop findet am Mittwoch, den 15.05.2019 von 14:00 bis ca. 17:30 Uhr in den Räumen der MEDIVERBUND AG statt. Weitere Details können Sie der Einladung zum Workshop entnehmen.
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