Psychotherapeuten, die Versicherte der DAK-Gesundheit in Baden-Württemberg behandeln, können ihren Patienten seit 1. Oktober vergangenen Jahres auch Sprechstunden per Video anbieten. Erste Erfahrungen zeigen: Die Patienten schätzen die neue Flexibilität.
Um Menschen mit psychischen Erkrankungen neue Zugangsmöglichkeiten in die Psychotherapie zu eröffnen und um Patienten in Regionen mit einer geringeren Dichte an Therapeuten eine bessere Versorgung zu bieten, haben MEDI Baden-Württemberg und die DAK-Gesundheit im Südwesten den seit April 2016 laufenden Psychotherapievertrag im vergangenen Jahr um die Möglichkeit der Videofernbehandlung erweitert.
Nach dem Vertrag ist die Durchführung der Videosprechstunde für die Einzeltherapien (PTE1(KJ) bis PTE4(KJ)) verfahrensübergreifend möglich. Pro Sitzung via Fernbehandlung gibt es eine zusätzliche Vergütung in Höhe von vier Euro. Ab der fünften abgerechneten Fernbehandlungssitzung pro Quartal wird zusätzlich ein Strukturzuschlag mit 120 Euro vergütet.
Für die Videosprechstunde kann zum Beispiel die KBV-zertifizierte Software Doccura, die von der Bayerischen TelemedizinAllianz angeboten wird, eingesetzt werden. Doccura ist eine webbasierte Software, die keine zusätzliche Installation auf dem Rechner erfordert.
»Besser als kein Kontakt«
Nicht für jeden Patienten kommen Therapiesprechstunden per Video infrage, meint Dipl.-Psychologe Ulrich Georg Werkmeister aus Stuttgart. „Eine gewisse Affinität zu dieser Technik sollte schon vorhanden sein“, sagt er. Fünf Patienten aus seiner Praxis, die meist zeitlich stark eingebunden sind, sodass es immer wieder schwierig ist, einen geeigneten Termin zu finden, nehmen inzwischen das neue Angebot wahr.
Erst vor kurzem hatte Werkmeister einen Patienten, mit dem ein Besuch in der Praxis vereinbart war, der dann aber aus beruflichen Gründen kurzfristig den Wunsch nach einer Videosprechstunde äußerte. „Grundsätzlich sind die Gespräche in der Praxis natürlich intensiver. Wenn man den Patienten aber schon einige Zeit kennt, kann die Videosprechstunde ein guter Ersatz sein. Besser jedenfalls als kein Kontakt“, sagt der Therapeut.
Geeignete Indikationen sind nach seiner Erfahrung Ängste, Depressionen und Zwangsstörungen. Auch für Notfälle sowie für Patienten, die sich mit Themen, die in einer Therapiesitzung in der Praxis angesprochen wurden, zu Hause noch stark beschäftigen, könnte die Videosprechstunde eine zusätzliche Option sein, meint Werkmeister.
Vertraulichkeit muss gewahrt sein
Zurzeit hat Dipl.-Psychologe Rolf Wachendorf aus Esslingen drei Patienten in der Videosprechstunde. Alle wohnen auf dem Land und haben nur eingeschränkte Möglichkeiten, in die Stadt zu kommen. „Eine Patientin ist darauf angewiesen, gefahren zu werden, ihr Fahrer hat aber nur abends Zeit“, berichtet Wachendorf. Jetzt könne er mit der Patientin auch tagsüber per Video sprechen. Die Videosprechstunde stelle für die Patienten eine wesentliche Erleichterung dar, zumal auch noch längere Fahrzeiten wegfallen. Für ihn als Therapeut sei die Fernbehandlung etwas ungewohnt, räumt Wachendorf ein. Grundsätzlich bevorzuge er den direkten Kontakt. Andererseits könne er eine Sitzung aber auch mal von zu Hause aus machen. Und auch für den Patienten biete die Videosprechstunde die Möglichkeit, beispielsweise bei einer Panikattacke im Urlaub einen Kontakt zum Therapeuten herzustellen.
Wichtig ist, dass die Vertraulichkeit der Therapeut-Patienten-Beziehung gewahrt ist, betont Wachendorf. „Der Partner sollte sich während der Therapiesitzung nicht im Zimmer aufhalten. Darauf muss aber der Patient achten“, sagt er.
Ein wichtiger Bestandteil ist für Wachendorf die Bildübertragung per Video. „Man sieht den Gesichtsausdruck, die Körperhaltung und kann sich so im Vergleich zu einem Telefongespräch viel besser ein Bild machen“, sagt er.
Netzqualität ist ein Problem
Dr. Fabian Wilmers, Psychologischer Psychotherapeut aus Freiburg, hat bislang eine Patientin im Programm. Die kennt er schon sehr lange. Wegen Veränderungen in der Lebenssituation der Patientin durch Umschulung weit vom Heimatort entfernt wäre es künftig sehr schwierig geworden, die Therapie weiterzuführen. „Wenn sie am Wochenende nach Hause fahren kann, ist sie natürlich bei ihrer Familie. Selbst am Samstag einen Termin zu machen wäre schwierig“, berichtet Wilmers.
Um sicherzugehen, dass die Hardware funktioniert, hat Wilmers die Technik zunächst zusammen mit der Patientin in der Praxis getestet. „Wir haben hier ein gutes WLAN und da hat alles gut funktioniert“, sagt Wilmers.
Schwierig wurde es jedoch, als die Videosprechstunde im Wohnheim der Patientin durchgeführt wurde. „Die Bildverbindung war oft nicht sehr stabil. Die Gesprächsverbindung ging so einigermaßen. Oft haben wir dann parallel auch noch über das Mobiltelefon kommuniziert“, berichtet Wilmers. Offenbar sei die schlechte Netzqualität am Ort der Patientin ursächlich für die Verbindungsprobleme. „Denn wenn sie bei ihrer Familie zu Hause ist, funktioniert es gut.“
Erfahrungen, die auch der Stuttgarter Therapeut Werkmeister gemacht hat. „Wenn die Verbindung nicht gut ist, kommt es zu einem zeitlichen Versatz zwischen Bild und Ton. Das irritiert gelegentlich“, berichtet er.
Ansonsten erfordere die Fernbehandlung über Video keinen großen technischen oder organisatorischen Aufwand. „Um eine Anmeldung bei der webbasierten Software und das erforderliche Passwort kommt man aus Sicherheitsgründen natürlich nicht herum“, betont Werkmeister. Und die Zeit für die Sprechstunde müsse man sich ohnehin freihalten – egal ob live oder per Video.
Jürgen Stoschek