Leicht gesagt, wenn die Emotionen überkochen. Grund genug für den MEDI Verbund, Deeskalationstrainings anzubieten. Einer der Trainer ist Armin Marx, der in fast 40 Jahren als Polizist im Streifendienst viel erlebt hat. Sein Rat: ruhig bleiben und zuhören.
Für Marx beginnt Selbstbehauptung im Kopf. Am wichtigsten findet er es, in einer brenzligen Situation tief durchzuatmen und die Ruhe zu bewahren. Natürlich muss man jede Situation und jeden Menschen ganz individuell beurteilen. Aber seiner Erfahrung nach ist es meistens nicht zielführend, auf einen wütenden, lauten Menschen selbst aufbrausend zu reagieren.
Auf den Inhalt achten
Beschwerden werden manchmal laut und mit vielen Emotionen vorgebracht. Das hindert den Polizisten aber nicht daran, auf den Inhalt zu achten. „Man muss auch emotional aufgebrachte Menschen dort abholen, wo sie sind“, weiß er. Natürlich sollte man sich nicht alles gefallen lassen. Aber Marx findet diese typische Gegenreaktion, bei der man selbst laut reagiert, einigermaßen untauglich. „Ich versuche auf die Worte zu hören“, berichtet er, „und antworte eher in einer beruhigenden Tonlage.“ Ihm geht es erst einmal darum, einen Kontakt zu dem wütenden Menschen herzustellen.
Dazu muss man akzeptieren, dass die Situation ist, wie sie ist. Laut, peinlich, ungerecht, unangenehm oder beängstigend – damit hat man es zu tun, ob man will oder nicht. Wenn es gelingt, sich auf diesen Menschen in dieser Situation einzulassen, kann man verbal reagieren. „Die wenigsten aggressiven Menschen haben tatsächlich vor, jemandem wehzutun, geschweige denn, jemanden umzubringen“, sagt er, „sie wollen sich über Dinge beschweren, die ihrem Weltbild oder ihrer Wahrheit nach ungerecht sind.“
Eine sinnvolle Reaktion ist es zum Beispiel, den wütenden Menschen zunächst einmal zu bestärken: Man gibt ihm recht darin, dass er ein wichtiges Thema anspricht. So zeigt man prinzipielle Gesprächsbereitschaft. Wenn das angekommen ist, kann man darum bitten, die Lautstärke etwas zu reduzieren, oder vorschlagen, das Gespräch lieber in einem anderen Raum fortzusetzen. „Ich würde immer versuchen, an den aggressiven Menschen heranzukommen“, berichtet Marx.
Wenn es brenzlig wird
Die Medien berichten immer häufiger über Menschen, die mit einem Messer, einer Axt, einem Säbel oder einer Schusswaffe auftreten. So etwas kann natürlich auch in Arztpraxen passieren. Müssen Ärzte und nichtärztliche Praxismitarbeiter ernsthaft darüber nachdenken, eine Kampfsportausbildung zu machen?
Marx verneint und rät zur Vorbereitung. „Ich verliere Zeit, wenn ich in der brenzligen Situation erst überlegen muss, ob ich einen Alarm auslösen kann oder ob es einen Fluchtweg gibt“, sagt er. Wenn man Strategien entwickelt und besprochen hat, kann man wesentlich schneller, gezielter und vor allem im Team abgestimmt reagieren. Ist man unvorbereitet, gehen einem 1.000 Dinge durch den Kopf und man kann keinen klaren Gedanken fassen. Zur Vorbereitung gehört es auch, drohende Eskalationen rechtzeitig zu erkennen. Das gilt nicht nur nachts auf dem einsamen Bahnsteig, sondern eben auch in der Praxis, wenn Patienten beispielsweise wegen eines Notfalls lange warten müssen und langsam, aber sicher unruhig werden. Hier kann eine kurze Information an die Wartenden viele Emotionen aus der Situation nehmen.
Kämpfen oder flüchten?
Körperliche Abwehrreaktionen gegen einen Angreifer übt man im Deeskalationstraining auch. Bei den Übungen geht es allerdings nur darum, die Angst vor dem „Zupacken“ zu reduzieren. Lernen kann man gezielte Abwehrtechniken nur mit regelmäßigem Training. Sie sollten auch immer die letzte Option in solchen Situationen sein.
Wichtiger als Tipps für einen Zweikampf ist dem Polizisten der Hinweis, dass man Stimme und Körpersprache eindeutig einsetzen sollte, um dem Angreifer Grenzen aufzuzeigen. „Viele Frauen haben das leider nie gelernt“, weiß er. Was kann die Empfangsmitarbeiterin also tun, wenn jemand ihr bedrohlich nahekommt oder seine Hand auf ihren Arm legt? „Deutlich Nein sagen und das zum Beispiel mit einem Handzeichen unterstreichen“, antwortet Marx. Notfalls würde er auch durch einen leichten Schlag zeigen, dass eine fremde Hand auf dem eigenen Arm nichts zu suchen hat.
Genau das wird in den Trainings geübt. Besonders Frauen finden es erfahrungsgemäß aufschlussreich, die Wirkung von Körpersprache auszuprobieren und bei anderen zu beobachten. Und dann ist da noch Marx‘ Geheimwaffe. „Ich bin so ein Typ, ich rede in brenzligen Situationen einfach auf Leute ein, bis sie ruhig werden“, berichtet er. „Man hat mir schon vorgeworfen, dass ich die Leute totbabble“, lacht er.
Ruth Auschra
Workshop „Deeskalationstraining für das Praxisteam“
2019 bieten wir Ihnen aktuell drei Termine zur Auswahl in Stuttgart an: 20.02.2019, 15.05.2019 und 24.07.2019, jeweils 14:00 Uhr bis 17:30 Uhr. Weitere Informationen finden Sie hier im Informationsflyer.
Bild: Im Ernstfall muss man sich verteidigen. Polizist Armin Marx (links) übt mit MEDI-Arzt Dr. Wolfgang Miller entsprechende Techniken.
(Foto: Achim Zweygarth)